In Schkopau forschen Chemiker und Ingenieure an neuen Kunststoffen

Ein Haus voller Standesbeamter – so könnte man die Mitarbeiter des Fraunhofer Pilotanlagenzentrums für Polymersynthese und Polymerverarbeitung (PAZ) mit Fug und Recht nennen. Denn sie wissen, wie man Teilchen verbindet, die bis dato getrennte Wege gegangen waren. Oder, wie es Dr. Ulrich Wendler nennt: „Wir verheiraten sie.“

Wendler ist Abteilungsleiter im Bereich Polymersynthese, das „Trauzimmer“ steht im Value Park Schkopau bei Halle (Sachsen-Anhalt). Hier forschen Chemiker, Techniker, Ingenieure und Physiker an der Frage, wie man Kunststoffe mit solchen Zutaten verbindet, dass sie spezielle, von Industriekunden gewünschte Eigenschaften erhalten. Neben dieser Synthese von Polymeren, also Kunststoffen, beschäftigt sich das PAZ mit der nötigen Technik, um neue Kunststoffblends produzieren zu können.

Dafür steht im PAZ auf 1.000 Quadratmetern ein Technikum bereit, in dem gleich sechs Produktionsstrecken Kunststoffe synthetisieren und in Bauteile ausformen können. Die so genannten Pilotanlagen nehmen allerdings jeweils nur einen Bruchteil der Fläche eines normalen Maschinenparks ein. Mit ihnen bildet das PAZ die Schnittstelle zwischen Laborforschung und Industrieproduktion: „Wenn ein Polymerhersteller in seinem Labor ein neues Produkt entwickelt, liegen die Mengen bei ein paar hundert Gramm“, erläutert Wendler. „Damit könnte kein Anwender, der daraus zum Beispiel eine Autotür bauen will, etwas anfangen. Da kommen wir ins Spiel. “

Soll heißen: Das PAZ schaut sich im Auftrag des Kunden die genaue Rezeptur des neuen Polymers an und die Art und Weise, wie es hergestellt wurde. Dann produzieren die Schkopauer bis zu mehreren hundert Kilogramm des Kunststoffes. Mengen also, mit denen komplette Reifen oder Autoteile gefertigt und ausführlich getestet werden können. Das Besondere: „Weil wir gleich sechs verschiedene Strecken haben, können wir super flexibel in kurzer Zeit neue Anlagen zusammenbauen“, erklärt Ingenieur Marcus Vater. Nur zwei der ursprünglich eingebauten Strecken seien überhaupt in ihrer Originalkonstruktion genutzt worden. „Alle anderen haben wir je nachdem, welche Anlagen wir für unsere Kunden gebraucht haben, neu zusammengestellt." Natürlich hätten viele Hersteller ein eigenes Technikum, „aber die einzelnen Pilotanlagen sind meistens weltweit verstreut. Wir sind in der Lage, für eine neue Polymerisationslinie einfach eine Leitung über den Gang zu ziehen – bildlich gesprochen“, erzählt der Verfahrenstechniker begeistert.

Vater ist verantwortlich für die Verfahrensentwicklung. Ihm legt der Kunde die Laborrezeptur auf den Tisch, er tüftelt dann an der Frage, wie die dazugehörige Pilotanlage aussehen könnte. „Manchmal bauen wir auch erstmal die Laboranlage des Kunden nach. Und dann überlegen wir, wie der neue Kunststoff durch technische Anpassungen unserer Pilotausrüstungen in größeren Mengen hergestellt werden könnte.“

Denn, und das ist wichtig zu wissen: Bei der Polymerverarbeitung kann es genau wie bei der Polymersynthese einen großen Unterschied machen, welcher Zusatz – also zum Beispiel Karbon- oder Glasfasern, Holzspäne oder bestimmte Gase – wann genau dem Produktionsprozess zugeführt wird.

Im Blick behalten die Wissenschaftler dabei immer den Kostenfaktor. Nicht nur jene für die Investitionen in neue Anlagen, sondern vor allem die Betriebskosten müssen im Rahmen bleiben. Der häufig größte Posten dabei: die Energie.

Zusammen mit der List AG aus der Schweiz konnten die Schkopauer einen echten Coup landen: Bei der Herstellung von Synthesekautschuk können sie etwa die Hälfte der Energie einsparen: Dazu trennen die Wissenschaftler das Lösungsmittel, das bei der Verknüpfung von Mono- zu Polymeren hilft, nicht länger mit Dampf vom Zielprodukt. Ulrich Wendler: „Wir überzeugen das Lösungsmittel, dass es unter milden Bedingungen das Polymer verlässt, ohne unserem Sensibelchen, dem zukünftigen Gummi, zu schaden.“ Deutlich weniger Dampf – deutlich geringere Energiekosten für dessen Erzeugung. Mehr darf Wendler zu dem Verfahren noch nicht verraten.

Und noch einen Erfolg präsentiert Wendler gern: die Herstellung von Kunststoff aus Kohlendioxid. Das klingt wie die Lösung gleich zweier Probleme: Weniger schlechte Luft, mehr billiger Kunststoff. „Ganz so einfach ist es aber nicht“, meint Wendler belustigt, das CO2 werde zugeliefert von einer Firma aus dem benachbarten Industriepark. Der daraus entstehende Kunststoff sei zudem nur eingeschränkt einsetzbar, weil er bereits bei Körpertemperatur weich wird. „Also nichts für Bauteile. Aber zum Beispiel für Abdrücke, etwa beim Zahnarzt, könnte man Kunststoffe mit diesen Eigenschaften verwenden.“ BASF, die das Verfahren zusammen mit dem PAZ entwickelt hat, will aus dem neuen Kunststoff Folien herstellen, die besonders empfindliche Waren schonend umhüllen können.

Die 16 Mitarbeiter – 12 in der Synthese, 6 in der Verarbeitung von Polymeren – blicken optimistisch in die Zukunft. Vor allem die Technologie-Entwicklung und
-Optimierung für die Kautschukproduktion soll vorangetrieben werden. „Wir haben dafür am Standort Schkopau die idealen Bedingungen. Es gibt eine lange Tradition“, erläutert Wendler. „1937 ging hier die weltweit erste großtechnische Synthese-Anlage für Kautschuk in Betrieb. Mit unserer Arbeit können wir also nicht nur die regionale Wirtschaft unterstützen, wir können mit dem hier konzentrierten Know-how auch weltweit punkten.“


Autorin: Kathrin Wöhler

Kontakte:
Leiter des Fraunhofer-Pilotanlagenzentrums für Polymersynthese und -verarbeitung (PAZ)
Prof. Dr.-Ing. Michael Bartke
Tel.: +49 3461 2598-120
E-Mail: michael.bartke@iap.fraunhofer.de

Leiter Polymersynthese
Dr. Ulrich Wendler
Tel.: +49 3461 2598-210
E-Mail: ulrich.wendler@iap.fraunhofer.de

Leiterin Polymerverarbeitung
Ivonne Jahn
Tel.: +49 345 5589-474
E-Mail: Ivonne.jahn@iwmh.fraunhofer.de

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