Der frühe Vogel fängt den Wurm - Unternehmen sichern sich Fachkräfte durch Stipendien für Studierende

Herr Schönenberger, das Stipendienprogramm der IHKn Magdeburg und Halle-Dessau spricht Studierende mit der Frage an: „Immer pleite?“ Kennen Sie das aus Ihrer Studienzeit?
Und ob! Ich hatte keinen Anspruch auf Bafög, und meine Eltern konnten mir monatlich nur einen kleinen Betrag zur Verfügung stellen. Manchmal buchte sogar die Bank meine Miete zurück – was zu neuen Problemen führte. Es kam sogar vor, dass meine Mahlzeiten aus Knusperflocken bestanden. Deshalb habe ich neben meinem Studium der Politikwissenschaft gejobbt, wobei ich natürlich einiges für meine heutige Tätigkeit lernen konnte. Dennoch: Durch die Jobs hat sich das Studium gut ein bis eineinhalb Jahre verlängert.

Das Programm läuft über die Plattform www.ingenieuregesucht.de, auf der Studierende und Unternehmen zusammengeführt werden. Wie funktioniert das Prinzip der Stipendienvergabe?
Ganz einfach: Unternehmen stellen ihr Angebot auf der Plattform ein, daraufhin kann sich ein Studierender mittels Kurzbewerbung beim Unternehmen melden. Die Bewerbung geht direkt bei der verantwortlichen Person ein. Danach beginnt ein vom Unternehmen festgelegtes Bewerbungsverfahren. Die Inhalte des Stipendiums werden dabei in der Regel zwischen Unternehmen und Studierendem vereinbart.

Welche Vorteile sollen die Studierenden anlocken?
Neben dem finanziellen Aspekt sind es vor allem die Entwicklungsmöglichkeiten. Die Studierenden erhalten einen stärkeren Praxisbezug: Sie können das Erlernte auch mit der unternehmerischen Realität in Verbindung bringen. Die Studentinnen und Studenten haben zudem einen Mentor im Unternehmen, der bei fachlichen Problemen an der Hochschule behilflich ist. Das kann schon mal einen drohenden Studienabbruch verhindern. Zudem entfällt die zeitaufwändige Suche nach den obligatorischen Praktikumsplätzen. Und schließlich können die Studierenden ihre Bachelor- oder Masterarbeit im Unternehmen schreiben. Nach dem Studium steht ihnen ein adäquater Arbeitsplatz mit branchenüblicher Vergütung zur Verfügung.

Jede Menge „Win“ also für die Studierenden. Wie sieht es für die Unternehmen aus?

Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Unternehmen sichern sich Nachwuchskräfte. Dadurch wird der Studierende frühzeitig auf seine spätere Aufgabe vorbereitet, der Berufseinstieg wesentlich erleichtert und Einarbeitungszeiten und -kosten werden reduziert. Der wichtigste Aspekt ist jedoch, dass das Unternehmen Zugang zu aktuellen Entwicklungen und dem wissenschaftlichen Know-How erhält. Dies kann die Innovationsfähigkeit des Unternehmens erhöhen. Berücksichtigt man die demografische Entwicklung und die sich verschärfenden Probleme bei der Stellenbesetzung, möchte ich einen Personalleiter aus einem der beteiligten Unternehmen zitieren:  „Den ‚War Of Talents‘ kann man mit solchen Maßnahmen für sich entscheiden, weil es uns gelingt, einen talentierten jungen Mann mit 18 Jahren an unser Unternehmen zu binden.“

Wie gut wird mit dem Programm das Ziel erreicht, Absolventen tatsächlich in Sachsen-Anhalt zu halten?
Derzeit stehen etwa 90 Stipendienangebote von 62 Unternehmen zur Verfügung. Allein in den letzten beiden Jahren wurden 75 Stipendien vergeben. Darunter sind alle Stipendienarten, also Komplett-, Teil- und Dualstipendien. Das Angebot ist allerdings viel größer als die Nachfrage durch die Studierenden. Wir versuchen deshalb ständig, die Nachfrage durch gezielte Kampagnen, Plakaten und Radiospots zu stärken. Insgesamt ziehen wir eine positive Bilanz: Wir wissen, dass ehemalige Stipendiaten heute zum Beispiel in der Ölraffinerie in Leuna arbeiten, aber auch beim Förderanlagenbau Magdeburg (FAM), bei der Magdeburger Walzwerk Engineering GmbH (MWE) oder bei der IFA Rotorion – Holding GmbH in Haldensleben.

Welche Fachrichtung wird seitens der Unternehmen am stärksten nachgefragt?
Die Region Magdeburg ist eine traditionelle Maschinenbauregion, daher stehen in dieser Fachrichtung die meisten Angebote zur Verfügung. Aber auch in allen anderen ingenieurtechnischen Studiengängen werden Stipendien angeboten. Mittlerweile können auch Studierende der Fachrichtungen Medizin, Pädagogik oder Soziale Arbeit auf der Plattform fündig werden. Diese Angebote zu erweitern, ist unser Ziel. Die Stipendieninitiative soll sich zur zentralen Kontaktbörse von Studierenden und Unternehmen entwickeln. Daher werden wir im Laufe des Jahres die Plattform um eine Praktikumsbörse erweitern.

Sachsen-Anhalt etabliert sich immer mehr als Logistikschwerpunkt Deutschlands. Inwiefern gibt es an dieser Stelle Nachbesserungsbedarf?
In der Tat: Im Bereich der Logistik gibt es eine Lücke. Die beiden Magdeburger Hochschulen bilden qualifizierte Wirtschaftsingenieure mit dem Schwerpunkt Logistik aus. Diese hervorragend ausgebildeten Männer und Frauen finden derzeit nur wenige Angebote. Aber auch Spezialisierungsrichtungen wir Medizintechnik oder Umwelttechnik können noch erweitert werden.

Haben eigentlich nur Studierende eine Chance, die überdurchschnittliche Leistungen bringen?
Nein. Zum Teil erhalten bereits Abiturienten, die ihr Studium noch nicht begonnen haben, ein Stipendium. Wir verfolgen mit der Initiative eher das Ziel, die jungen Menschen zu entwickeln und somit ihre Fähigkeiten zielgerichtet einzusetzen. Die Leistungen kommen dann automatisch.

Und zu guter Letzt: Warum halten Sie es für wichtig, auch weiterhin über das Programm zu sprechen?
Zum Einen natürlich, um die Initiative bei Schulabgängern und Studierenden bekannter zu machen. Zum Anderen ist klar: In Zukunft stehen weniger Schulabgänger und Hochschulabsolventen zur Verfügung. Gleichzeitig gehen immer mehr Arbeitnehmer in den Ruhestand. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen neue Wege bei der Rekrutierung von Auszubildenden oder Fachkräften gehen. Denn kränkeln die Unternehmen, dann kränkelt die Region. Klar: Die Stipendieninitiative kann nur ein Baustein sein. Sie muss etwa durch Zuwanderung von ausländischen Auszubildenden und Fachkräften oder der gezielten Weiterbildung der vorhandenen Mitarbeiter ergänzt werden.


Autorin: Kathrin Wöhler

Kontakt:
IHK Magdeburg
Mathias Schönenberger
Projektkoordinator Stipendieninitiative
Tel.: +49391 5693-402
E-Mail: schoenenberger.ignore@magdeburg.ihk.de
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