Büchsenmacher: Bei der Berufswahl ins Schwarze treffen

Wenn Oliver Zimmermann das Wochenende daheim bei den Eltern in der Uckermark verbringt, schnappt er sich gern sein Jagdgewehr. Gleich nach dem Abitur hatte der Sohn eines Revierförsters die Prüfung für den Jagdschein bestanden. „Zur Ausbildung gehörte auch Waffenkunde“, erzählt er, und die wurde bald darauf beim Wehrdienst noch vertieft. Für das regelmäßige Waffenputzen konnte er ein Gewehr bald mit geschlossenen Augen auseinandernehmen. Von da war er nur ein kleiner Schritt zu dem Wunsch, selbst ein Jagd- oder Sportgewehr bauen zu können. Aber wo wird dieses Handwerk, in schöner alter Tradition immer noch als Büchsenmacherei bezeichnet, überhaupt noch gelehrt?
Oliver Zimmermann erzählt, wie er erst einmal im Internet recherchierte und „die Betriebe abtelefonierte, ob sie auch ausbilden.“ Zur Büchsenmacherinnung Mitteldeutschland gehören knapp 30 Mitgliedsbetriebe in den neuen Bundesländern sowie in Hessen. Nur ganz wenige kümmern sich um den beruflichen Nachwuchs. Der einzige in Sachsen-Anhalt ist Jörg Werthe in der Altmarkstadt Stendal, die 180 Kilometer von Oliver Zimmermanns Heimatort entfernt liegt. Bei Büchsenmachermeister Werthe ist Oliver Zimmermann Azubi im zweiten Lehrjahr.
Firma und Geschäft „Waffenservice Werthe“ haben ihren Sitz in einem Fachwerkbau am Rande des Stendaler Stadtzentrums. Seit 1991 betreibt der Hobbyjäger und Sportschütze Werthe in seiner Heimatstadt den führenden Vollausstatter für Jäger-, Sport- und Freizeitschützen in der Region. In der kleinen Werkstatt hinter dem Laden repariert er Waffen von Jägern und Sportschützen aus einem Umkreis von  mehr als 100 Kilometern bis nach Berlin. „Wenn die Waffe nicht richtig schießt, ist es manchmal schwierig herauszufinden, warum“, erzählt er und lächelt: „Wenn der Schütze nicht getroffen hat, meint er zuerst, es liege am Gewehr.“  Bei anderen Waffen ist zum Beispiel der Schaft beschädigt oder der Abzug klemmt. Einiges Zubehör und manche Teile älterer Gewehrtypen, für die es auf dem Markt keine Ersatzteile mehr gibt, stellt der Meister auch selbst her. Er nimmt einen Schaft von der Werkbank, spannt ihn in den Schraubstock und beobachtet, ob sein Azubi Oliver die Feile richtig ansetzt. Für die feinmechanischen Arbeiten an einer „Büchse“ sind Fingerfertigkeit und Verständnis für Mechanik erforderlich, und diese hat Oliver Zimmermann bescheinigt bekommen: Bei einem Eignungstest  an der Berufsfachschule für Büchsenmacher und Graveure in Suhl (GKBBZ), wo er jetzt den theoretischen Teil der dreijährigen dualen Ausbildung erhält, musste er zunächst seine handwerklichen Fähigkeiten zeigen, „mit feilen, biegen und pressen“, erzählt er.

Inzwischen weiß er auch, dass es hoher Konzentrationsfähigkeit und einiger Geduld bedarf, wenn ein Waffenteil auf einen Hundertstel Millimeter genau bearbeitet werden muss. Büchsenmacher arbeiten im Stehen,  auch das war nach dem jahrelangen Sitzen auf Schulbänken gewöhnungsbedürftig. Doch Abiturient Zimmermann findet es schön und spannend, dass er bei Jörg Werthe noch richtig das traditionelle Handwerk erlernen kann, das bei den großen Jagdwaffenherstellern längst von CNC-Maschinen ersetzt worden ist. In der Suhler Berufsfachschule ist er einer von nur zwei Azubis seines Jahrgangs, die in einem Büchsenmacher-Handwerksbetrieb die praktische Lehre erhalten.
Allerdings schränkt Werthe ein, dass Büchsenmacher heute vor allem Dienstleister sind, die kaum noch Waffen herstellen, sondern verkaufen, beraten und reparieren. Ab einem bestimmten Reparaturumfang und bei allen Sicherheitsteilen dürfen das nur Meisterbetriebe. Der 50-Jährige, den als Jugendlichen an der Jägerei und Falknerei seiner Eltern mehr die Technik der Gewehre interessierte, hat einen ähnlichen Ausbildungsweg zurückgelegt wie sein Azubi: Im damaligen Jagdwaffenwerk Suhl, heute Merkel Jagd- und Sportwaffen, lernte er „Jagdwaffenfeinmechaniker“, qualifizierte sich später noch zum „Gewehrschäfter“ und bestand 1990 die Meisterprüfung zum Büchsenmacher. Die Suhler Büchsenmachertradition geht bis ins 15. Jahrhundert zurück.
Oliver Zimmermann will die noch ausstehenden Prüfungen abwarten, bevor er sich für seine berufliche Zukunft entscheiden muss. Er könnte ab Ende des zweiten Ausbildungsjahrs die „Gestreckte Gesellenprüfung“ ablegen und dann in einem der vor allem in Süddeutschland oder Österreich ansässigen Handwerksbetriebe arbeiten. Oder er könnte so wie sein Ausbilder Werthe den Meister machen und selbstständiger Büchsenmacher werden. Auf jeden Fall kann er Beruf und Jagdhobby eng verbinden.


Text/Foto: Ute Semkat

Kontakt:
Büchsenmacher Jörg Werthe
Waffen-Service Werthe
Bismarckstraße 41
39567 Stendal
Tel.: +49 3931 212278
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