Alte Wurzeln und neue Triebe – die Rückkehr der Eingeborenen aus dem Saale-Unstrut - Tal weckt die Neugier der Weinkenner aus ganz Deutschland

Auf einem Weinberg im Saale-Unstrut-Tal im südlichen Sachsen-Anhalt wachsen wieder Reben, die schon vor Jahrhunderten in der Region heimisch waren. Diese „Eingeborenen“ geben dem nördlichsten deutschen Weinanbaugebiet einen individuellen Charakter und zeigen, dass Tradition Innovation nicht ausschließt.

Der Lebensweg von Christian Kloss ähnelt dem seiner neuen alten Weine: Seine familiären Wurzeln liegen in der Weinstadt Freyburg im südlichen Sachsen-Anhalt, wurden „ausgerissen“, aber dann kehrte der gebürtige Rüdesheimer als Erwachsener in das Haus seiner Großeltern zurück und hat im Saale-Unstrut-Tal erneut Wurzeln geschlagen. Seit bald sieben Jahren leitet er das Landesweingut Kloster Pforta, mit 50 Hektar Anbaufläche das größte Einzelweingut in der nördlichsten Anbauregion Deutschlands. Vor gut 850 Jahren haben hier Zisterziensermönche mit der Kultivierung von Reben begonnen.

„Wir profitieren vom Traditionsbewusstsein - und das ist zugleich unser Problem“, sagt Christian Kloss: „Wir machen hier seit fast eintausend Jahren dasselbe Produkt, aber wir hatten seitdem keine Innovationen.“

Den Ausweg sieht der 43-Jährige nicht in trendigen Weingetränken für den Supermarkt, sondern in mehr Individualität. Das Neue soll aus dem ganz Alten entstehen: „An unserem Ursprungsweinberg reifen wieder Sorten, die ehemals die Mönche angebaut haben.“  In der Branche spricht man von autochthonen Weinen, das bedeutet gebietstypische, in der Region beheimatete Rebsorten, geschmacklich geprägt von Klima und Boden am Standort.

Und so sind auf dem Pfortenser Köppelberg, der 1154 erstmals urkundlich erwähnt wurde, gut zwei Hektar Anbaufläche mit bisher eher massetauglichen Sorten gerodet und durch zunächst drei historische Rebsorten ersetzt worden. Sie sind nachweislich hier im Muschelkalkboden verwurzelt: Weißer Elbling, Blauer Silvaner und der Weiße Heunisch.   

Letzter ist ein Zufallsfund. Bei Nachforschungen, womit einst die Klosterbrüder ihre Becher füllten, entdeckten Studenten der Hochschule Anhalt auf dem verwilderten Kathert‘schen Weinberg bei Karsdorf uralte vergessene Rebstöcke. Der genetische Fingerabdruck und Abgleich beim Bundessortenamt brachte zutage, dass es sich bei zwei der gefundenen Rebsorten um den Weißen und den Schwarzen Heunisch handelt, der selbst wenigen Weinexperten bekannt ist. Diese Reben waren praktisch verschwunden und wurden erst im Saale-Unstrut-Tal wiederentdeckt.

Die Mönche hatten zu ihrer Zeit einfach Holzreiser in die Erde gesteckt. Das verbietet sich heute schon durch das deutsche „strengste Weingesetz der Welt“.  Einige wenige Unterlagsreben des Weißen Heunisch gab es noch im Bundessortenamt. Aus dem Holz der alten Wurzelstöcke wurden Edelreiser gewonnen. Die Reiser pfropfte dann ein Rebzüchter auf die in Deutschland vorgeschriebenen Amerikanerunterlagen auf, und nach behördlicher Zulassung durften die rekultivierten Rebstöcke als Forschungsanbau in die Erde gebracht werden.

Drei Jahre braucht ein Weinstock bis zur ersten Lese. 2011 gab es dann die ersten knapp 3.500 Flaschen vom Blauen Silvaner. Er schimmert rotgolden im Glas und überrascht mit einem fruchtigen extraktreichen Geschmack. In diesem Jahr konnte erstmals Sekt aus dem Weißen Elbling abgefüllt werden. Für das kommende Jahr hofft der Landesweingutchef auf die Premiere des Weißen Heunisch. „Aber keine Ahnung, wie der schmecken wird“, schüttelt Kloss auf die Frage den Kopf: „Diese Sorte hat ja keiner außer uns.“ Die Einmaligkeit ist ein starkes Argument, das bei Weinkennern aus ganz Deutschland Neugier auf den unbekannten Eingeborenen aus dem Saale-Unstrut-Tal weckt.

Aber auch die Winzer warten mit Spannung auf die ersten kelterbaren Trauben, denn die Kultivierung erweist sich als ein spannendes Experiment: „Mit dieser Sorte gibt es keinerlei Erfahrungen, wir können uns nirgendwo einen Tipp holen, wie sie wächst, wie man optimal schneiden, wie stark man düngen muss und wie man den Wein im Keller ausbaut“, verdeutlicht Kloss.

Das Landesweingut Kloster Pforta hat es mit der Rekultivierung autochthoner Sorten in die Finalrunde für den IQ Preis Mitteldeutschland geschafft, bei dem Innovationen aus drei Bundesländern im Wettbewerb stehen. Mit den neuen lokalen Spezialitäten will Geschäftsführer Kloss auch für die wirtschaftliche Zukunft der Weinregion und seines Betriebs mit 19 Mitarbeitern und fünf Auszubildenden den Boden bereiten. Dazu sollen die alten Wurzeln kräftig neu ausschlagen.

vorheriger Beitrag nächster Beitrag