Die Zukunft visualisieren mit bildgestützten Therapieverfahren

Zukunftsweisender internationaler Forschungscampus STIMULATE in Sachsen-Anhalt, Deutschland, entwickelt minimal-invasive Diagnose- und Therapiemethoden

Noch ist es Utopie: ein querschnittsgelähmter Patient kann allein mit der Kraft seiner Gedanken seine Gliedmaßen wieder ganz normal bewegen. Doch Stück um Stück wird diese Utopie Wirklichkeit, und daran wird auch in Magdeburg, Hauptstadt des deutschen Bundeslandes Sachsen-Anhalt, gearbeitet.

Der Schlüssel ist die Messung der Hirnaktivität. Die Wissenschaft hat dabei in den zurückliegenden Jahren rasante Fortschritte gemacht. Aus der direkt im Gehirn gemessenen elektrischen Aktivität, können Computer bereits gut erkennen, ob und welche Bewegungen der Patient ausführen möchte.

„Zu deren Messung müssen Elektroden ins Gehirn implantiert werden, und dabei gibt es ein ethisches Problem“, schränkt Neurowissenschaftler Prof. Hermann Hinrichs ein. „Solche Eingriffe sind nicht ohne Risiko.“ Werden die Signale dagegen mit Elektroden gemessen, die wie eine Elektroenzephalografie (EEG) risikolos außen auf dem Kopf angebracht werden, sind die Ergebnisse nicht so gut. Die Wissenschaft muss sich also entscheiden: risikolose, aber messtechnisch ungenauere Signale oder geeignetere, aber ethisch kritischere Signale. Oder aber man findet einen Mittelweg. Der Mittelweg, an dem in Magdeburg gearbeitet wird, heißt Magnetenzephalografie, kurz MEG. Bei diesem Verfahren werden magnetische Hirnaktivitäten gemessen – mit Sensoren außerhalb des Schädels. Die Magnetfelder des Gehirns werden mit Spulen erfasst und gemessen. „Dabei stört der Hirnknochen weniger als beim EEG“, erklärt Hermann Hinrichs. „Die Signale sind zwar nicht so exakt wie bei den implantierten Elektroden, aber sie sind deutlich besser als beim EEG.“

Für Versuche bietet der Forschungscampus STIMULATE den Wissenschaftlern optimale Möglichkeiten. STIMULATE steht für Solution Centre for Image Guided Local Therapies.  Die Technik des Forschungscampus‘ in der Experimentellen Fabrik am Rande des Campus der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg lässt Forscherherzen höher schlagen: Ein moderner Operations-Saal mit mobilem Röntgengerät fällt sofort ins Auge; ein Kernspintomograph. Hochauflösende Bildschirme zeigen übergroß, was auf dem OP-Tisch geschieht. Auf anderen Monitoren sieht man die Bilder, die der Kernspintomograph erzeugt.

STIMULATE ist eines der Vorzeigeprojekte in Sachsen-Anhalt. Bund und Land lassen Gelder fließen, STIMULATE gehört zu bundesweit neun geförderten Forschungscampussen. Magdeburg setzte sich im Wettbewerb mit anderen renommierten Forschungseinrichtungen erfolgreich durch. Einer der großen Vorteile des Standorts Magdeburg: Mediziner und Ingenieure arbeiten hier schon seit Jahren eng zusammen.

Im Fokus der Magdeburger stehen bildgeführte minimal-invasive Diagnose- und Therapiemethoden. So werden hier etwa Minikatheter entwickelt, deren Bewegungen in Blutgefäßen oder im Gehirn mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wie eben dem Kernspintomografen genau verfolgt werden können. Die Wissenschaftler in Magdeburg konzentrieren sich mit ihren Partnern auf einige neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall und Krebserkrankungen wie  Leber- und Wirbelsäulentumore. Ziel ist es, die Patienten schonender und besser zu behandeln.

„Wir haben vier Schwerpunkte“, zählt der Direktor des Instituts Medizintechnik an der Uni Magdeburg, Prof. Georg Rose, auf. „Die Brain Machine Interfaces (BMI) – also das Zusammenspiel von Hirn und Maschine -, Robotik in der Chirurgie, effiziente Schlaganfallversorgung in der Klinik und die Behandlung von Lebertumoren in der Magnetresonanztomographie (MRT).“

Ingenieure und Mediziner tüfteln an Robotern, die bei Operationen assistieren sollen, zum Beispiel bei Operationen, wo sehr große Genauigkeit gefragt ist. Etwa an der Wirbelsäule. „Roboter können viel feiner und viel genauer operieren als der Mensch, ihre Fehlerwahrscheinlichkeit ist geringer als die der menschlichen Operateure“, erklärt Georg Rose. „Aber stellen Sie sich vor, es passiert etwas. Das wäre ethisch nicht vertretbar.“ Also arbeitet Kollege Roboter unter menschlicher Aufsicht, hält zum Beispiel nur eine Hülse, die präzise die Richtung vorgibt, durch den der Arzt sein Nadel/Elektrode einführt.

Bei der Versorgung von Schlaganfallpatienten wird in Magdeburg nach Wegen zur Optimierung gesucht. „Es gilt der Grundsatz „time is brain“, also Zeit ist Hirn“, erklärt Hirnforscher Hermann Hinrichs. „Je schneller einem Patienten geholfen wird, desto mehr Gehirnzellen können wir retten und desto geringer sind die Folgeschäden.“ Um Transportwege und damit auch Zeit zu sparen, wird in Magdeburg auch an einem optimalen Behandlungszimmer für Schlaganfallpatienten geforscht. „Das leidige Hin und Her von Raum zu Raum soll dem Patienten erspart werden“, erklärt Georg Rose. „Uns schwebt ein zentrales Behandlungszimmer vor, in dem der Patient untersucht und auch gleich operiert werden kann – wir nennen es ‚One-stop-Shop‘.“

Und schließlich arbeiten die Wissenschaftler aus Magdeburg daran, Elektroden für die invasiven Messungen im Gehirn zu verbessern. Dabei gehören sie international zur Spitze. „Wir bringen Risikofreiheit und gute Signale zusammen“, bring es Hermann Hinrichs auf den Punkt. In den USA ist von einigen wenigen Patienten berichtet worden, die einzelne Gliedmaßen mit ihren per implantierten Elektroden erfassten Bewegungswunsch steuern können. So konnte etwa ein Patient mit der Muskelerkrankung ALS mit der Steuerung eines speziellen armähnlichen Roboters durch seine Gedanken eine Tasse zum Mund führen.

Allerdings sind die Sicherheitsanforderungen an solche Technologien vor allem auch in Deutschland sehr hoch, die Zertifizierungsverfahren sehr aufwendig. Die Technologie selbst ist weit fortgeschritten, erste Roboter sind bereits mit eigenständiger Intelligenz ausgestattet, und erkennen schon bis zu zirka 90 Prozent der vom Gehirn ausgesandten Bewegungswünsche. Damit könnte es bald möglich werden, komplexe alltägliche Bewegungen durch die Hirnaktivität zu initiieren, dann aber weitgehend autonom vom Roboter ausgeführt würden. Das kann auch Patienten in der Reha hoffen lassen. Sie könnten so deutlich schneller zu Erfolgen kommen, nennt Georg Rose eine denkbare Anwendungsmöglichkeit.

Die Firmen allerdings halten sich zurück. „Diese Technologien sind sehr teuer, tragen ein hohes Risiko und haben keinen großen Markt“, sagt Georg Rose zu den Gründen.

„Es muss geklärt werden, was bei einem Stromausfall passiert, wer die Verantwortung übernimmt, wenn der Roboter zum Beispiel beim Autofahren einen Fehler macht, wenn sich ein Patient durch einen Fehler am Auge verletzt, wenn er die Hand eigentlich zum Mund führen will.“

Es ist nicht ganz einfach, für die kommerzielle Umsetzung dieser Entwicklungen geeignete Firmen zu finden. Wissenschaftler aus Sachsen-Anhalt werden noch im Februar nach Asien reisen, um auch dort, in Malaysia und Singapur, nach möglichen Partnern für Produktion und Vermarktung ihrer Forschungsergebnisse zu suchen.

Das können Partner aus der Wirtschaft sein. Unternehmen, die das herstellen, was die Wissenschaftler in Magdeburg erfinden. Oder die mit Medizintechnikunternehmen in Sachsen-Anhalt zusammenarbeiten, denn innerhalb des Landes und auch weltweit gibt es bereits mehrere gut funktionierende Kooperationen.

Magdeburg hat sich hohe Ziele gesetzt. STIMULATE soll Deutsches Zentrum für bildgestützte Medizin werden. Etliche Publikationen und Teilerfolge können die Forscher auf dem Weg dahin schon verbuchen.

So gelang es einer Versuchsperson bereits, mit seinen Gedanken einen Roboter zu steuern, der in einem Gebäude am anderen Ende der Stadt stand. Über das Internet hatten die beiden miteinander kommuniziert. Der Proband bewegte mit seiner Gedankenkraft einen Roboterarm.

Foto:Im Forschungscampus STIMULATE erforschen und entwickeln interdisziplinäre Teams bildgeführte minimal-invasive Diagnose- und Therapiemethoden in gesellschaftlich höchst relevanten Krankheitsbildern. (Foto: IMG / Ralf Lehmann)

vorheriger Beitrag nächster Beitrag