„Wir müssen jetzt etwas tun“

Prof. Dr. Sinz von der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg kämpft gegen die Pandemie, entwickelt neue Test-Methoden und treibt Forschungen voran

Pharmazeuten*innen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) ist es gelungen, mit Massenspektrometrie kleinste Mengen des Coronavirus SARS-Co V-2 nachzuweisen – in Gurgellösungen von COVID-19-Erkrankten. Prof. Dr. Andrea Sinz vom Institut für Pharmazie, lieferte die Idee dafür. Die renommierte Proteinforscherin gehört  zu den Gründungsmitgliedern der „Covid-19 Mass Spectrometry Coalition“, einem internationalen Netzwerk, das methodisches Know-how und neue Daten zur Lungenkrankheit austauscht.

Forschen gegen die Schockstarre: Als Deutschland sich Mitte-März im „Lockdown“ befindet, fühlt Prof. Dr. Andrea Sinz eine Unruhe. „Es war das Gefühl, etwas tun zu müssen“, sagt die Professorin für Pharmazeutische Chemie an der MLU. Sie erinnert sich daran, wie sie vor gut einem halben Jahr in leere Räume blickt und denkt: „Ich möchte etwas tun und unsere modernen Geräte einsetzen.“ Sie schüttelt den ersten Schock von sich, gibt das Motto aus: „Wir probieren mal etwas.“ Gesagt, getan. Normalerweise setzen die Forscher*innen im „Sinz Labor“, der Abteilung für Pharmazeutische Chemie und Bioanalytik, Massenspektrometrie ein, um Strukturen von Proteinen und die Wechselwirkungen zwischen Eiweißen zu untersuchen, um das molekulare Verständnis von Krankheiten wie Krebs und Diabetes zu verbessern. Im April nutzen sie das Verfahren zum Messen der Masse von Atomen und Molekülen, um eine spontane Idee auszuprobieren. Prof. Dr. Andrea Sinz entwickelt mit Prof. Dr. Stefan Hüttelmaier von der Unimedizin Halle (Saale) die Idee, Proben von COVID-19-Patienten*innen zu analysieren. Der Kollege liefert die Gurgellösungen, im „Sinz-Labor“ werden sie als hoch verdünnte Proben untersucht.

Nachweis von Virusproteinen in Gurgellösungen

In Rekordzeit entwickelt die Arbeitsgruppe eine Methode, mit der darin Bestandteile von SARS-COV-2-Viren identifiziert werden können. „Wir haben in den Lösungen tatsächlich Bestandteile der Virusproteine gefunden“, sagt Prof. Dr. Andrea Sinz. „Wir wussten nicht, ob das funktioniert. Das kam ziemlich überraschend.“ Um sicher festzustellen, ob Menschen akut an COVID-19 erkrankt sind, gibt es derzeit vor allem eine zuverlässige Testmethode: die Polymerase-Kettenreaktion, kurz PCR. Der in Halle (Saale) entwickelte Test könnte eine  Ergänzung dazu sein. Wie Prof. Dr. Andrea Sinz sagt, „ist er hochspezifisch für das Virus, da die entsprechenden Proteine nur bei dieser Krankheit vorkommen“. Ein weiterer Vorteil sei, dass bereits in der Anfangsphase getestet werden könne, wenn sich viele Viren im Mund- und Rachenraum befinden. Und es könnten bereits kleinste Mengen des Coronavirus SARS-CoV-2 nachgewiesen werden – und das in nur circa 15 Minuten.

„Wir haben eine große Verantwortung.“

Derzeit arbeiten die sachsen-anhaltischen Wissenschaftler*innen daran, die Analysezeiten zu verkürzen, suchen parallel dazu Kooperationspartner in der Industrie, untersuchen den Einsatz weiterer massenspektrometrischer Methoden, die vergleichbar sind mit dem sogenannten „Biotyping“. „Dabei wären die Messungen sogar in Sekundenschnelle möglich“, sagt die Pharmazeutin. Die Untersuchungen laufen. Das Wort Hochdruck möchte die Expertin dabei nicht so gern in den Mund nehmen. „Wir arbeiten alle sehr schnell, das stimmt, aber wir haben auch eine große Verantwortung“, sagt sie. Um die vielfältig wahrzunehmen, beschreitet die Wissenschaftlerin, die seit 2007 an der MLU forscht und arbeitet, auch international neue Wege.

Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern der „Covid-19 Mass Spectronomy Coaltion“, einer internationalen Koalition zum Austausch von methodischem Know-how und neuen Daten im Zusammenhang mit COVID 19. „Die Massenspektrometrie ist eine sehr vielversprechende Methode für die Erforschung des Coronavirus. Sie ist schnell, sensitiv und zuverlässig“, sagt die Protein-Expertin. Wenn es jemand wissen muss, dann sie. Prof. Dr. Andrea Sinz ist Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Massenspektrometrie.

Wissenstransfer auf internationaler Ebene

Das sichert ihr in der Koalition schnell Aufmerksamkeit. „Wir haben einfach die Verpflichtung, etwas an die Gesellschaft zurückzugeben“, sagt sie und schafft mit Kollegen*innen, unter anderem in England, Spanien und Italien, die Voraussetzung für die Gründung des Bündnisses. Bei der ersten Videokonferenz fragt sie: „Wohin soll die Richtung gehen?“ Die Antwort ist schnell gefunden. Protokolle der Massenspektrometrie-Verfahren sollen geteilt, Details weitergereicht, Wissen ausgetauscht werden. „Wir stehen hierbei nicht in Konkurrenz, sondern sind im Gegenteil Partner, die voneinander profitieren“, sagt sie. Mit Schrecken sieht und hört sie die Nachrichten aus anderen Ländern, in denen die Politik versagt und das Gesundheitssystem durch die Pandemie zusammenbricht. Einmal mehr sei sie froh, „in einem so guten Umfeld leben und arbeiten zu können“, so Prof. Dr. Andrea Sinz. Dazu zählt sie auch ihren Wirkungsort in Halle (Saale).

Corona-Pandemie: Auf internationaler Ebene das Fachwissen bündeln

Die gebürtige Baden-Württembergerin kann auf viele bedeutende berufliche Stationen zurückblicken, sammelt als Wissenschaftlerin Erfahrungen bei den „National Institutes of Health“ in Bethesda, USA, oder an den Universitäten in Leipzig und Tübingen. Sie engagiert sich jahrelang als Vorsitzende der sachsen-anhaltischen Landesgruppe der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, wird 2016 von der Zeitschrift „The Analytic Scientist“ zu den 50 weltweit einflussreichsten Frauen in den analytischen Wissenschaften gewählt und 2019 von der Gesellschaft Deutscher Chemiker mit dem „Fresenius-Preis“ ausgezeichnet.

Sie hält Kontakt in viele Länder, schöpft aus einem großen Netzwerk angesehener Forscher*innen, erhält Angebote von anderen Einrichtungen – die sie ausschlägt. „Ich habe hier sehr gute Arbeitsmöglichkeiten, viel Freiheit und eine moderne Ausstattung“, sagt Prof. Dr. Andrea Sinz. Dazu käme, dass sie auf gut ausgebildetes Personal aus der Region zurückgreifen könne und internationale Kollegen*innen an ihrer Seite hat. Dazu gibt sie noch viele Prisen Eigeninitiative und holt Kooperationspartner*innen ins Boot. „Das ist die richtige Mischung für mich“, sagt sie. „Ich möchte Methoden für medizinische Fragestellungen entwickeln, die dann auch angewendet werden. Genau das machen wir hier in Halle.“ Sie nennt das die „Triebfeder“ für ihre Forschungen.

Diese sollen sie aktuell auch weiterführen bei neuen Diagnosemethoden mit Massenspektronometrie. Prof. Dr. Andrea Sinz hofft, dass sie in einigen Monaten eingesetzt werden können und dass weitere Erkenntnisse helfen, COVID-19 besser zu verstehen. Ihr Motto gilt weiterhin: „Wir müssen jetzt etwas tun.“ Darum tauscht sie sich stetig mit Kollegen*innen aus aller Welt aus. Die hallesche Forscherin sagt: „Wenn wir unser Fachwissen bündeln, können wir zu vielen Themen etwas beitragen, von Tests über Behandlungen bis hin zur Impfung.“

Autorin: Manuela Bock/IMG Sachsen-Anhalt


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