Revolutionäres Verfahren zur Impfstoffreinigung

Die Navigo Proteins GmbH aus Sachsen-Anhalt hat ein Bindeprotein zur großtechnischen Corona-Impfstoff-Reinigung entwickelt. Mit „Precision Capturing“ können zukünftig Biotherapeutika deutlich effizienter und kostensparender gereinigt werden. Für das Verfahren sind die Forscher im Rahmen des IQ Innovationspreises Mitteldeutschland 2020 prämiert worden.

Stillstand gab es bei der Navigo Proteins GmbH während der Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie nicht, ganz im Gegenteil. Das Biotechnologie-Unternehmen auf dem halleschen Weinberg-Campus hat schnell auf die aktuelle Situation reagiert: Eine Corona-Task-Force wurde gegründet, Maskenpflicht galt, und die Teams wurden etagenweise getrennt. Dieser Aufwand hat sich gelohnt, das Unternehmen konnte in dieser Zeit das machen, was es am besten kann: forschen und entwickeln. In diesem Fall galt die Forschung  einem sogenannten Affinitätsliganden, einem Bindeprotein gegen das Corona Spike Protein. Dieses ist Hauptbestandteil der Mehrzahl der Corona-Impfstoffe, welche dann mittels dieses Bindeproteins gereinigt werden können. Die Zusammenarbeit mit einem großen US-Partner läuft bereits. „Noch in diesem Jahr wird es auf den Markt kommen, um die enormen Herausforderungen bei der milliardenfachen Herstellung von Impfstoffen überhaupt bewältigen zu können“, sagt Dr. Oliver Schub, Director Business Development des Unternehmens.

Revolutionäres Verfahren

Die patentierte Methode des „Precision Capturing“, die Navigo entwickelt hat, ist nicht einfach nur fortschrittlich. „Revolutionär“ nennt sie Oliver Schub. Die Nutzung kleiner, stabiler „Scaffold“ (engl. Gerüst)-Proteine als Binder (Liganden) ermöglichen die Reinigung nahezu sämtlicher Biotherapeutika in maßgeschneiderter, sogenannter „Affinitätschromatographie“. Dabei funktionieren diese spezifisch zum jeweiligen Impfstoff oder Biotherapeutikum entwickelten Protein-Moleküle wie ein Magnet: Sie sitzen auf einem festen Chromatographie-Trägermaterial und binden spezifisch an den im Zellkulturmedium vorliegenden Wirkstoff, in diesem Fall das Corona Spike-Protein. Die anderen Bestandteile des Zellkulturmediums werden weggewaschen und das Spike-Protein kann mit hoher Reinheit nahezu vollständig von der Chromatographie-Säule isoliert werden. Im Gegensatz dazu erfolgt die herkömmliche, nicht Affinitäts-basierte Reinigung von Biotherapeutika in mehreren Schritten hintereinander, die kostspielig und zeitaufwendig sind und zudem eine viel geringere Gesamtausbeute ergeben. „Unsere Liganden ermöglichen ein universelles, robustes quasi-Ein-Schritt-Verfahren “, so Oliver Schub, „mit Effizienzen von größer 90 Prozent bei Reinheit und Ausbeute.“

„Universell anwendbar wird die Plattform, weil wir mit unseren einzigartigen Bibliotheken mit Milliarden verschiedener Bindeproteine jeweils das passende Gegenstück für jeden Wirkstoff aussuchen können“, erklärt Oliver Schub. Die Produktion dieser Liganden im kommerziellen Maßstab ist Routine; ein erstes gemeinsames Entwicklungsprodukt aus der „Precision Capturing“ Plattform mit der US-Amerikanischen Bioprocessing Firma Repligen Corporation ist bereits auf dem Markt und wird global an Biopharmazeutika-entwickelnde Unternehmen vertrieben, Tendenz stark steigend. Zur Produktion und Reinigung des weltweit nötig werdenden Corona-Impfstoffs ist bereits eine Zusammenarbeit mit einer ebenfalls US-amerikanischen Firma  vereinbart. Noch 2020 soll die Spike-Protein Affinitätsreinigung zur groß-industriellen Impfstoff-Herstellung beginnen. Für die „Precision Capturing“ Plattform hat das Unternehmen in diesem Jahr den 2. Preis im IQ Innovationspreis Mitteldeutschland gewonnen.

Alternative zur Antikörper-Therapie

Neben dem Verfahren „Precision Capturing“ für maßgeschneiderte Affinitätschromatographie arbeitet die Navigo Proteins parallel auch an einer „Precision Targeting“ Plattform. Dabei werden therapeutische kleine Affinitätsliganden entwickelt, als Alternative zur herkömmlichen Antikörpertherapie. Navigo nutzt seine Protein Engineering Expertise, um ihre kleinen Affinitätsliganden, sogenannte „Affilin®“ Proteine, zusätzlich mit bestimmten Eigenschaften auszustatten, um sie so vielfältig und flexibel einzusetzen. „Protein-Drug-Conjugates“ zum Beispiel kombinieren die Krebszellerkennung spezieller Navigo-Liganden mit einem Zellgift, mit dem Krebszellen ganz gezielt bekämpft werden, indem die Proteine nur dort, und nicht im gesamten Körper, andocken und ihren toxischen Angriff starten. Weiterhin kann die Halbwertzeit der Liganden, also ihre Verweildauer im Blut, je nach Erfordernis angepasst werden. „Precision Targeting“ könnte, laut Oliver Schub, eines Tages die klassische Antikörpertherapie in einigen Bereichen ersetzen, z.B. wegen geringerer Produktionskosten und Nebenwirkungen sowie besserer Wirksamkeit. Eine bekannte Europäische Drug-Conjugate Firma hat ein Navigo Antikörper-Alternativ-Molekül in präklinischen Versuchen positiv getestet und treibt die Entwicklung weiter voran. Demnächst startet die klinische Phase I im Menschen für solide Tumore.

Das Verfahren ist zudem in der sogenannten Theranostik anwendbar, ein Begriff zusammengesetzt aus Therapie und Diagnostik. Damit ist es möglich, die Navigo-Proteine zum Beispiel mithilfe gekoppelter Substanzen zuerst bei spezifisch bildgebenden Verfahren in der Tumor-Diagnostik einzusetzen. Danach wird derselbe Ligand mit einer kurzlebigen radioaktiven Substanz gekoppelt und für die gezielte Krebszell-Eliminierung  verwendet. Da die Moleküle ausschließlich an die Krebszellen binden, ist die gezielte Präzisions-Behandlung des Tumors von innen möglich und eine Bestrahlung des Körpers von außen nicht mehr nötig.

Perfekte Infrastruktur

„Precision Targeting“ wurde noch von der Scil Proteins GmbH, einem Spin-off der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Vorläufer der Navigo, entwickelt. Ein Teil des Unternehmens wurde 2014 ausgegliedert und an Wacker Biotech verkauft. Die Scil Proteins GmbH wurde am Standort Weinberg Campus weiterentwickelt und 2017 von der Vetter Pharma GmbH in Ravensburg übernommen und firmiert heute als Navigo Proteins GmbH. Sie spielt inzwischen auf Augenhöhe mit international renommierten Biotechnologie-Unternehmen. Nicht als einziges Unternehmen, das auf dem einzigartigen Weinberg-Campus tätig ist – einem der 12 Zukunftsorte Sachsen-Anhalts und Mitteldeutschlands größtem Technologiepark. Mehr als 100 Unternehmen der Life-Sciences- und Material-Sciences-Branche, international renommierte Forschungseinrichtungen sowie die naturwissenschaftlichen Fakultäten der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit 5500 Wissenschaftlern und Beschäftigten sind hier zuhause. Das Land Sachsen-Anhalt hat hier Investitionen von mehr als eine Milliarde Euro unterstützt. Die Vernetzung auf dem Campus mit Einrichtungen wie dem Fraunhofer-Institut oder der Universität nennt Oliver Schub als einen großen Vorteil des Standortes: „Die Infrastruktur ist perfekt. Ganz wichtig für uns ist zudem, dass wir durch die Anbindung an wissenschaftliche Institutionen hochqualifizierte Fachkräfte finden, die wir schließlich brauchen.“ 50 Mitarbeiter sind derzeit bei der Navigo Protein GmbH beschäftigt,  langfristig sollen es aber deutlich mehr werden. Das Land Sachsen-Anhalt wird auch dabeiunterstützen: . Wirtschaftsminister Armin Willingmann übergab kürzlich im Zuge eines Besuches der Navigo Proteins einen Bewilligungsbescheid für die Anschaffung eines hochmodernen Laborgerätes zur Affinitätsmessung, mit dem statt einer bis zu 32 Proben gleichzeitig bearbeitet werden können.

Autorin: Anja Falgowski/IMG Sachsen-Anhalt


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