Keine Angst vor großen Taten: EVA holt die IT- und Gründerszene nach Dessau-Roßlau

Im sachsen-anhaltischen Dessau-Roßlau nimmt eine Vision an Fahrt auf. Der Unternehmer Sebastian Rumberg möchte mit seinem Projekt „Entrepreneurs across Villages in Anhalt“ (EVA) möglichst viele Menschen aus der Technologie- und Gründerszene langfristig in die grüne Region locken – und trifft damit genau ins Schwarze.

EVA wurde im September 2020 aus der Frage geboren, ob nicht mehr Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der IT- und Gründerszene ins beschauliche Dessau-Roßlau ziehen könnten, um hier mit ihren Familien in einer wachsenden Gemeinschaft zu leben und zu arbeiten. „Gerade junge Menschen und Familien zeigen ein wachsendes Bedürfnis, im Grünen zu leben, um sich in einer ruhigeren Umgebung auf die Arbeit konzentrieren zu können“, sagt Sebastian Rumberg. Er muss es wissen: Der 35-jährige Unternehmer ist in der IT-Branche und weltweiten Gründerszene zuhause – und wohnt dabei seit ein paar Jahren mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in Mosigkau. Raus wollte er damals aus Berlin, näher sein an der Familie und an einem beschaulichen Ort im Grünen, an dem „unsere Kinder aus der Haustür fallen und im Freien spielen können“. So landete die Familie im Dessauer Vorort, auf einem 270 Jahre alten Hof mit riesigem Grundstück. Hier fand der gebürtige Dresdner, der in Leipzig Medien- und Kommunikationswissenschaften studiert und unter anderem in Sydney, Südostasien und Frankreich gelebt hat, alles, was er in der Hauptstadt vermisste; das Kontrastprogramm mit Ruhe, Wiesen, Wäldern, Menschen, die man auf der Straße grüßt, weil man sie gut kennt.

Hunderte Rückmeldungen in wenigen Tagen aus aller Welt

„Arbeiten kann ich hier mittlerweile noch besser als in Berlin“, so Rumberg, „Ich weiß, dass meine Kinder hier glücklich sind, und ich kann mich in den Stunden, wo sie im Waldkindergarten Spaß haben, ganz auf die Arbeit konzentrieren. Ganze Unternehmen können heute mit einem Laptop an jedem Ort der Welt geführt werden“. Damit bringt er Bewegung in die Bauhausstadt und ihre Umgebung. Überzeugt davon, dass nicht nur er einen „Wandel im Denken und in den Ansprüchen“ erlebt hat und die ländlichen Strukturen, die vielerorts günstigen Immobilienpreise, die Abgeschiedenheit, die saubere Luft und größere Freiräume schätzt, platzierte er sein Projekt EVA im September 2020 auf dem Karrierenetzwerk „LinkedIn“. „In kürzester Zeit hatte ich aus aller Welt Hunderte Rückmeldungen von Investoren, Unternehmern, Entwicklern, Designern und wer sonst noch so alles in den Zukunftsbranchen arbeitet“, erzählt er. „Aber was spannend war: Sie alle haben mir nicht als Investoren, Unternehmer oder Mitarbeiter geschrieben – sondern als Väter und Mütter. Als Menschen, die sich nach ihren eigenen Wurzeln sehnen und einem ruhigeren Leben fernab der Metropolen.“

Seine Idee fanden und finden die Menschen nicht nur dank der Vorteile eines grünen Kreativortes ansprechend. Dessau punktet auch mit vielen Standortvorteilen wie der Kombination aus ländlichem Raum und einer gut ausgebauten Infrastruktur mit zahlreichen Kultur- und Bildungsangeboten sowie einer guten ärztlichen Versorgung. Dazu kommt noch die Nähe zu Berlin oder Leipzig. Die, die ihn kontaktieren, schwärmen von „kollaborativen Strukturen außerhalb von Berlin“, von „einer Sogwirkung, die EVA auslöst“ und denken schon an die Möglichkeiten, hier Coworking-Spaces aufzubauen.

„Die neue Gründerzeit“

Seither tippt Sebastian Rumberg viel auf seinem Laptop, telefoniert, spricht mit Menschen. Er hat keine Angst vor großen Taten, ist überzeugt davon, „dass man jedes noch so große Projekt in viele kleine Einzelteile zerlegen und damit bewältigen kann“. In der Stadt stoße er mit seinen Ideen für seine Wahlheimat auf offene Ohren, sagt der Unternehmer. Ein Grund könnte sein, dass Rumberg schon einmal bewiesen hat, dass er in kurzer Zeit schaffen kann, was auf den ersten Blick unmöglich scheint: Gemeinsam mit seiner Frau und Gleichgesinnten hat er in nur zwei Jahren die Mosigkauer Waldorfschule in den Betrieb gebracht.  „Da waren vorher auch sehr viele Menschen skeptisch“, sagt der Mann, der fast ohne Punkt und Komma von vielen weiteren Ideen, Schritten und Zielen sprechen kann, die er in der Region umgesetzt hat oder gerade anschiebt. Das Muster ist dabei überall gleich: Vision aussprechen, in Einzel-Ziele zerlegen, soziale Medien und persönliche Kontakte nutzen. Davon spricht er derzeit auch, wenn er erklären soll, warum er Oberbürgermeister in Dessau-Roßlau werden möchte. Die Plakate des parteilosen Kandidaten sind überschrieben mit seinem „Herzensthema“, wie er es nennt: „Die neue Gründerzeit“.

Region wird für digitale Unternehmen zum wichtigen deutschen Standort

In den nächsten Monaten will Sebastian Rumberg, der alle Strippen für EVA in seiner Freizeit zieht, weitere Interessierte einladen. Sie sollen Mosigkau und die Region kennenlernen, hier an ihren Projekten arbeiten und entscheiden, ob sie hier Fuß fassen wollen. Bis zu 300 Menschen sollen so in naher Zukunft durch EVA in der Gegend ihre neue Heimat finden. Rumberg ist sich sicher, „dass sich dann alles verselbstständigen und die Region zu einem neuen wichtigen Standort in Deutschland für digitale Unternehmen werden kann“. Mittlerweile hat die „EVA-Vision“ mehr als eine Viertelmillion Unternehmer und Unternehmerinnen, Investoren und Investorinnen und andere Menschen aus der Tech- und Start-up-Szene erreicht, schätzt Rumberg, die lokale Presse noch nicht eingerechnet. Weit über 1.500 Nachrichten und Anfragen sind eingegangen von Menschen, die Metropolen wie Berlin, Hamburg, London, Boston oder Athen den Rücken kehren und einer Community auf dem Land angehören wollen. Mit EVA soll ihnen in und um Dessau dieser Raum geschaffen werden – nach dem Projekt auch weit über die regionalen Grenzen hinaus. Die ersten Familien ziehen gerade nach Dessau oder suchen passenden Wohnraum. Unterstützt werden sie dabei von Sebastian Rumberg und seiner Frau wie sonst auch in ihrer Freizeit. „Ganz einfach“, antwortet er auf die Frage danach, wo man wohl Wohnungen und Häuser findet, „im Internet oder beim Klatsch auf der Straße“.

Ein Nahziel ist außerdem die Gründung einer Genossenschaft, um Geld zu bündeln, mit denen die Ziele weiter vorangetrieben und ein Unterstützer-Netzwerk aufgebaut werden können. Dafür sucht er gemeinsam mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern derzeit vor allem finanzielle Unterstützung. Und es sollen – das ist noch so ein „Herzenswunsch“ von Rumberg – Co-Working-Spaces auf dem Land entstehen. Im Blick hat er als Erstes ein Café im Schloss Mosigkau. Die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz hätte bereits Unterstützung dafür signalisiert, sagt er.

Eine Willkommenskonferenz im Juli beantwortet praktische Fragen

Bei alldem, was er für und mit EVA tut, verweist der rührige Mosigkauer gern auf andere Modellprojekte in Deutschland. Einzelne Aspekte seien bereits in ähnlicher Form umgesetzt worden und hätten „beachtliche Ergebnisse erzielt“. Rumberg sagt: „Dieselben Resultate sind auch in Sachsen-Anhalt möglich. Hier können wir noch viel mehr Menschen ansiedeln, die in zukunftsträchtigen Branchen arbeiten.“ Zwei davon sind so etwas wie ein Spiegelbild der Menschen, die sich für EVA begeistern: Mahesh und seine Frau stammen aus Indien, arbeiteten die letzten Jahre in Berlin als Software-Entwicklerin und -entwickler für ein Technologieunternehmen, das in nur sieben Jahren von zwei auf mehr als 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gewachsen ist. Sebastian Rumberg sagt: „Sie wollen uns beim weiteren Aufbau von EVA unterstützen und sie wollen noch in diesem Jahr hier eine Familie gründen.“

EVA wächst. Am 20. Juli 2021 wird Rumberg einen nächsten kleinen Schritt in seinem großen Zukunftsprogramm für die Stadt machen, die er auch aufgrund ihrer kulturellen Schätze mag: Er lädt junge Familien und Unternehmen, die sich für einen Umzug nach Dessau-Roßlau interessieren, zu einer digitalen Willkommenskonferenz ein, um die ganz praktischen Fragen zu beantworten. Mit im Boot sitzen dann die großen Wohnungsunternehmen der Stadt, Bildungsträger und all jene, die dabei helfen können, die Familien und Unternehmen in der Stadt willkommen zu heißen. Angemeldet haben sich Wochen vorher schon mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter Gründerinnen und Gründer aus ganz Europa, die teils ein 100-köpfiges Team beschäftigen und weiter wachsen möchten.

Autorin: Manuela Bock/IMG Sachsen-Anhalt

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