Augmented Reality - Die Fabrik der Zukunft und die Werkbank 2.0

Konzepte aus Sachsen-Anhalt verhelfen der Technologie zum Durchbruch

Die erweiterte Realität, auch Augmented Reality (AR) genannt, ist bei Firmen und Forschern ein kaum noch wegzudenkender Bestandteil der Digitalisierung. Gegenstände virtuell darzustellen, spart Kosten, Zeit und Aufwand. Denn AR ermöglicht die zeitlich und räumlich korrekte Visualisierung nicht sichtbarer Eigenschaften und Vorhaben direkt in der realen Umgebung. Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Sachsen-Anhalt arbeiten an und mit AR-Lösungen.

Die Fabrik der Zukunft und die Werkbank 2.0
Es ist viel los in der Laborhalle des Fraunhofer Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg. Überall sind Versuchsstände der Forschungsprojekte mit Roboterarmen, Kameras, Projektoren und Computern aufgebaut. „Für uns ist es wichtig, die Forschung zum Beispiel für die Industrie im realen Kontext zu betrachten und zu schauen, wie Augmented Reality in der Anwendung sinnvoll eingesetzt und perfekt in die Arbeitsabläufe integriert werden kann“, erklärt Dr. Simon Adler vom Fraunhofer IFF. Jede Anwendung benötigt ein bestimmtes Maß an Genauigkeit für die Überlagerung. An einer maßstabsgetreuen und voll funktionsfähigen 3D-Nachbildung einer Industrieanlage hält Dr. Simon Adler ein Tablet an die Anlage, die gerade einen Fehler gemeldet hat. „Auf dem Tablet blinkt ein Achtungszeichen genau über der Stelle, an der der Fehler aufgetreten ist. Zudem grenzt ein Fehlercode die mögliche Störung ein. Wir nutzen die Augmentierung im Kern für drei Bereiche: für das Suchen und Finden, das Orientieren und das Beurteilen“, so der Wissenschaftler. 

Auf dem nächsten Teststand sind ein Roboterarm, Maschinenteile und eine Werkbank aufgebaut. Vier Projektoren über der Anlage projizieren ein Raster auf den berührungsempfindlichen Fußboden. So können Menschen und deren Bewegungen im Raum lokalisiert werden. Zudem werden mit einem Farbschema die nächsten Bewegungen und der Schwenkbereich des Roboters dargestellt. Der Sicherheitsbereich des Roboters ist normalerweise nicht sichtbar. Das Sichtbarmachen der dynamischen Sicherheitsbereiche und damit die Vermittlung der Bewegungsintension haben den Vorteil, dass der Mensch nicht unbewusst den Stopp des Roboters auslöst. Tritt man aber in den Gefahrenbereich, verlangsamt der Roboter und stoppt bei weiterer Annäherung, um eine Verletzung der Person zu verhindern. „In diesem Bereich der Robotersysteme testen wir die Mensch-Roboter-Kollaboration. So bedarf es keiner starren Schutzzäune, die aufwendig an- und umgebaut werden müssen. Außerdem ist es von enormer Wichtigkeit, die hohen Ansprüche und Normen der Berufsgenossenschaften zur Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewährleisten“, so Dr. Simon Adler über das Testfeld.

Der nächste Teststand wirkt dagegen wie gerade aus der Werkhalle geholt: Ein Arbeitsplatz mit Montagehalterungen, davor Displays und darüber Kameras. „In den Kamerabildern wird live ein präzises Abbild von den nächsten notwendigen Montageschritten und welche Teile dafür wie verwendet werden müssen dargestellt“, so der Wissenschaftler. Dieser Montagedemonstrator plant, wie das Werkstück montiert werden soll, überlagert Realität und kennzeichnet Fehler, die so nicht sichtbar wären. „Unsere Auftraggeber kommen aus Wirtschaft und Industrie, wie die Kolbus GmbH und Co. KG, die Premium Aerotec GmbH und die MTU Aero Engines AG. Dazu kommen Bundes- und EU-Projekte. Deren Erfahrungen werden dann unabhängig interessierten Firmen zur Verfügung gestellt. „Ich denke, wir können mit der Augmentierung gemeinsam mit unseren Forschern und Partnern aus der Industrie einen großen Beitrag leisten, um Produktionsabläufe sicherer, einfacher, flexibler und effektiver zu machen. Wir suchen nach verschiedenen Zugängen und Lösungen für die Industrie. Das ist die Stärke unseres Fraunhofer IFF in Magdeburg.“

Der erweiterte Röntgenblick für die Medizin
Gleich neben dem Fraunhofer IFF in Magdeburg steht das futuristische Gebäude der Experimentellen Fabrik - kurz EXFA. Es ist das Forschungs- und Transferzentrum für anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung auf dem Gelände der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Hier hat sich der Forschungscampus STIMULATE angesiedelt. Dort erforschen und entwickeln interdisziplinäre Teams bildgeführte Diagnose- und Therapiemethoden mit einem Fokus auf gesellschaftlich höchst relevante Krankheitsbilder. In einem dieser Labore steht Junior Professor Christian Hansen vor einem OP-Feld an einem künstlichen Torso. Mit 3D-Brille und einem Laparoskop untersucht er, wie minimal-invasive Eingriffe in der Leber und der Niere in Zukunft ablaufen können. „Wir nutzen Rohdaten aus bildgebenden Verfahren wie MRT und CT. Daraus erstellen wir dreidimensionale Abbilder und überlagern sie mit den stereoskopischen Videobildern des lebenden Objektes“, so der studierte Computervisualist über das Forschungsprojekt, das erst vor wenigen Tagen gestartet ist. Über ein hochauflösendes Display wird das 3D-Bild des Endoskops mit einer virtuellen Abbildung des Organs, seiner Gefäße und des Tumors überlagert. Als würde man mit einer Taschenlampe einen dunklen Raum ausleuchten, werden nur wirklich notwendige Informationen ins Blickfeld gerückt. „Das alles passiert, bevor der Chirurg den ersten Schnitt am Organ setzt. Die Herausforderung besteht in der notwendigen hohen Präzision.

Denn die Technologie hat es später im OP ja mit einem lebenden Patienten zu tun, dessen Organe sich kontinuierlich bewegen und verformen, zum Beispiel durch Atmung und Herzschlag des Patienten“, so Hansen. Gedacht ist, dass das Verfahren von der OP-Planung bis zum eigentlichen Einsatz während einer Laparoskopie Anwendung findet.

Derzeit arbeitet Christian Hansen an mehreren Projekten im Bereich der bildgeführte Therapie. „Das BMBF und die Landesregierung haben rechtzeitig die Potentiale der Branche Medizintechnik für die kommenden Jahrzehnte erkannt und den Standort Magdeburg im Bereich  Forschung und Entwicklung unterstützt. Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hat bereits vor einigen Jahren den Studiengang Medizintechnik eingerichtet. Wir zählen in Magdeburg zu einem der attraktivsten Forschungszentren für Nachwuchswissenschaftler; man nimmt uns mittlerweile auch außerhalb der Landesgrenzen  sehr deutlich wahr. Nach und nach siedeln sich wichtige Industriepartner an, die dem Standort Magdeburg und der Region in diesem Bereich zusätzlichen Auftrieb geben“, so Hansen. So ist STIMULATE weltweit an Forschungs- und Entwicklungsprojekten beteiligt. Bald geht Christian Hansen für ein Jahr als Stipendiat an die Harvard Medical School in Boston, um  das Netzwerk des Forschungscampus STIMULATE zu erweitern und den Forschungsstandort Magdeburg in Sachsen-Anhalt international noch bekannter machen.

Autor: Alexander Greiner

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