Nachhaltige Chemie mit „Carbontrans“: Restabfall wird zu Synthese-Kraftstoff

Eine Anlage in Leuna soll Vorreiter beim chemischen Recycling werden

Die chemische Industrie sucht nach Kreisläufen. Auf Deutschlands Müllhalden türmen sich Restabfälle, die bislang nicht verwertet werden. Mit den Bewegungen für mehr Klimaschutz kommt Schwung in die Debatte, dieses Problem zu lösen. Sächsische und sachsen-anhaltinische Forscher planen jetzt eine Anlage, mit der am Chemiestandort Leuna bald Müll in synthetische Kraftstoffe umgewandelt werden könnte.

Sortierreste der „Gelben Tonne“ und aufbereitete Restabfälle aus der „Schwarzen Tonne“ loswerden durch umweltfreundliches chemisches Recycling: Was zunächst verrückt und visionär klingt, ist für Prof. Dr. Bernd Meyer schon lange ein Thema – und die Basis für ein Projekt, das aktueller denn je ist. Als Leiter der Freiberger Außenstelle für „Kohlenstoffkreislauf-Technologien“ am Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle (Saale) und Direktor des Instituts für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (IEC) der TU Bergakademie Freiberg gehört der Verfahrenstechniker zu den Köpfen des Verbundes, der sich für „Carbontrans“ einsetzt – eine Plattform für die Kohlenstoffkreislaufwirtschaft am Chemie-Standort Leuna im südlichen Sachsen-Anhalt.

Für das Projekt, das die nachhaltige Chemie im Land maßgeblich prägen könnte, werden unter der Leitung von Bernd Meyer  Planung und  Betrieb im Rahmen des vom Land Sachsen-Anhalt geförderten Fraunhofer-Leistungszentrums Chemie- und Biosystemtechnik koordiniert, an dem unter anderem die Hochschule Merseburg, das Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP in Leuna sowie die Unternehmen „MIBRAG“, „ROMONTA“, „InfraLeuna“ und „RWE Power“ beteiligt sind. Die Idee dahinter: Abfall soll künftig nicht mehr einfach als Brennstoff „verraucht“ werden, sondern soll als sekundärer Rohstoff Teil der chemischen Wertschöpfungskette werden.

Neue Verwertungswege gesucht

Das wichtigste Ziel formuliert der Forscher so: „Chemisches Recycling muss als nachhaltigster Verwertungsweg für die Rückführung von Abfällen in den Kohlenstoffkreislauf etabliert werden.“ Vor dem Hintergrund, dass eine große Menge sogenannter Ersatzbrennstoffe – Reste, die beispielweise übrigbleiben, wenn Inhalte der „Gelben Tonne“ oder des „Schwarzen Sackes“ sortiert werden – in Müll- oder Kohlekraftwerken „verfeuert“ wird, sucht der interdisziplinäre Verbund nach neuen Verwertungswegen. Auch, weil die Kohleverstromung in absehbarer Zeit endet.

„Eine sehr gute Möglichkeit“, erklärt Bernd Meyer, „ist die Vergasung, bei der reines Synthesegas erzeugt wird, das wiederum zu neuen Kunststoffen oder zu synthetischen Kraftstoffen umgewandelt werden kann – und das in einem geschlossenen, umweltfreundlichen System“. Der Forschungsleiter ist überzeugt, dass solche chemischen Produkte oder Kraftstoffe „künftig sehr gefragt sein werden, allein, weil damit die CO2-Belastung der Kunststoffchemie oder des Fernverkehrs, der noch auf Verbrennungsmotoren angewiesen ist, deutlich gesenkt werden kann“.

Autofahrer könnten synthetische Kraftstoffe tanken

In Sachsen-Anhalt fällt diese Idee auf fruchtbaren Boden: Das Fraunhofer IMWS will mit „Carbontrans“ einen wichtigen Beitrag zur emissionsarmen Kohlenstoff-Kreislaufwirtschaft leisten. Am Standort Leuna soll eine Anlage entstehen – die Forscher sprechen von einer „Demonstrationsplattform“ – in der kohlenstoffhaltige Abfälle, auch zusammen mit land- und forstwirtschaftlichen Abfällen  vergast werden. Der Kern der neuen Technik ist ein Reaktor, in dem die kohlenstoffhaltigen Ausgangsstoffe mit Sauerstoff O2 und Wasserdampf H2O unter Wärmeentwicklung bei Temperaturen von über 1.000°C chemisch umgewandelt werden. Das aus dem Kohlenstoff C, englisch Carbon, entstehende Synthesegas enthält neben Kohlenmonoxid CO und Wasserstoff H2 auch Kohlendioxid CO2. Durch Hinzufügen von Wasserstoff H2 kann dieses sonst abgetrennte CO2 auch für chemischen Synthesen nutzbar gemacht, das heißt, in chemische Produkte umgewandelt werden. Das ist ein großer Standortvorteil für Leuna, zumal dort eine Elektrolyseplattform entsteht, bei der „grüner“ Wasserstoff H2 und „grüner“ Sauerstoff O2 unter Einsatz von „grünem“ Strom aus erneuerbaren Energien klimaneutral erzeugt werden.

Die „Carbontrans“-Anlage könnte jährlich bis zu 35.000 Tonnen kohlenstoffhaltiger Abfälle verarbeiten. Die entstehenden 10.000 Tonnen Synthesegas (CO und H2) ließen sich im Chemiepark Leuna direkt für die Erzeugung von Methanol einsetzen – oder  in einer Folgesynthese in Kraftstoffe umwandeln. Auch andere chemische Verbindungen könnten synthetisch hergestellt werden, etwa Ethanol oder Aceton. Nach einer Testphase lohne es sich, darüber nachzudenken, Tankstellen mit dem synthetischen Kraftstoff zu versorgen, meint Bernd Meyer. Unterstützung für das ambitionierte Projekt kommt von Sachsens und Sachsen-Anhalts Landesregierungen. Sachsen-Anhalt will 15 Millionen Euro zur Verfügung stellen, zusätzliche Mittel könnten aus strukturfördernden Mitteln kommen, ein Großteil auch vom Bund.

Alle arbeiten unter Hochdruck für das Projekt

Ende 2021 soll die Planungsphase für die Pilotanlage beendet sein. „Wir prüfen seit diesem Jahr die technische Machbarkeit sowie die Genehmigungsfähigkeit und beziffern die Kosten“, erklärt Bernd Meyer. Erteilt auch die Bundesregierung ihre Zustimmung, könnten die Planungen in drei Jahren abgeschlossen sein, sodass 2022 mit dem Bau eines Forschungsreaktors begonnen werden könnte, der Daten zum Betrieb liefert. Das ist die Herausforderung. „Die Anlagentechnik, die bisher für die Kohle genutzt wird, muss grundlegend überarbeitet werden“, so Bernd Meyer. Unter Hochdruck arbeiten alle Beteiligten am Konzept, sammeln Planungsgelder, um zu forschen, zu vergleichen und am Ende den wirklich nachhaltigen Weg zu finden, was auch bedeute, gesetzliche Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln.

Weltweite Nachfrage für die Technologie

Die vielen Schritte von der Vision zur Realität schrecken Bernd Meyer nicht. Er sei stattdessen froh darüber, „die Erfahrungen früherer Forschungen mit neuer Technologie verknüpfen zu können“. In Freiberg arbeiten die Forscher nun daran, nachzuweisen, dass das qualitativ hochwertige Synthesegas entsteht und der effiziente, stabile Dauerbetrieb des Vergasungsreaktors möglich ist. Nach der Erprobungsphase könnte die neuartige Technologie 2024 in die Infrastruktur in Leuna eingesetzt werden und schließlich bei „Carbontrans“ in Betrieb gehen, sagt Bernd Meyer.

„Die Technologieplattform passt perfekt zum Chemieschwerpunkt in Sachsen-Anhalt, der Standort ist ideal für die Pilotanlage“, meint Prof. Dr. Ralf B. Wehrspohn, bis Oktober 2019 Leiter des Fraunhofer IMWS und jetzt Vorstand für Technologiemarketing und Geschäftsmodelle der Fraunhofer-Gesellschaft. Laufe die Plattform erfolgreich, könne sie auf industrielle Ausmaße hochskaliert werden. „Wir sehen eine große Nachfrage für diese Technologie auch in anderen Regionen, und zwar weltweit“, so Wehrspohn. Mit chinesischen und neuseeländischen Unternehmen würden bereits Gespräche laufen. Das Interesse an der deutschen Technologie sei groß, meint Bernd Meyer. „Wir sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Autorin: Manuela Bock

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