Mensch - Roboter Kooperation – Zukunftsszenarien aus Sachsen-Anhalt

Dr.-Ing. Sonja Schmicker.: „Die beste Technik nützt nichts, wenn sie nicht auch angewendet wird.“

Wenn es um Digitalisierung und Industrie 4.0 geht, entsteht oft der Eindruck, dass nur die Technik im Vordergrund steht. Die digitale Intelligenz wächst. Innovative Technologien, Maschinen und Roboter übernehmen immer komplexere Aufgaben. Doch dass selbst die spannendsten Zukunftsszenarien nicht ganz ohne Menschen auskommen, zeigen eindrucksvoll aktuelle Projekte und Studien aus Sachsen-Anhalt.

Fünfzig Jahre Forschung zur Arbeitswelt von morgen

Wie sich die Arbeitswelt  verändern wird und wie sie gestaltet werden kann, beschäftigt Wissenschaftler und Studierende der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg bereits seit über fünfzig Jahren. 1965 gegründet, ist der Lehrstuhl Arbeitswissenschaft und Arbeitsgestaltung am Institut für Arbeitswissenschaft, Fabrikautomatisierung und Fabrikbetrieb (IAF) gefragter denn je. „Die Digitalisierung betrifft alle gesellschaftlichen und sozialen Bereiche“, so Lehrstuhlleitung Dr.-Ing. Sonja Schmicker. „Die hohe Dynamik und steigende Komplexität der Arbeitsprozesse stellt Forschung und Praxis vor große Herausforderungen“. Das bedeutet laut Schmicker, dass mehr denn je Akzeptanz für neue Technik aufzubauen ist, um Distanzen zwischen Mensch und Roboter zu überwinden. „Die beste Technik nützt nichts, wenn sie nicht auch angewendet wird.“

Damit beschäftigt sich auch futureTEX*, eines der Forschungsprojekte, in dem von Beginn an die Schlüsselposition Mensch integrativ eingebunden wurde. Ziel dieser Zwanzig20-Projektpartnerschaft ist die Entwicklung einer zukunftsfähigen Textilwirtschaft in Deutschland mit einem Fokus auf intelligente Textilien, die  besonderes Know-how erfordern. Die Anforderungen der zukünftigen Arbeitsprozesse wurden seitens des IAF analysiert und es wurden neue Arbeitssysteme entwickelt, ergänzt durch lernunterstützende Smart Devices.

Der am Lehrstuhl im Jahr 2017 aufgebaute ego.-INKUBATOR* „AWI-LAB“ ein Arbeitswissenschaftliches Labor zur Förderung von Gründungen im Themenfeld „Innovative Arbeitswelt 4.0“,  dient der Schaffung einer gründungsorientierten arbeitswissenschaftlichen Infrastruktur. Gründungsinteressierte Studierende und junge Absolventen sämtlicher Fachrichtungen werden von den Experten des Lehrstuhls bei der Konzipierung und praktischen Erprobung ihrer Gründungsideen aktiv unterstützt. Dabei werden insbesondere digitale Arbeitssysteme für die seitens der Landesregierung Sachsen-Anhalts identifizierten Leitmärkte „Energie, Maschinen- und Anlagenbau, Ressourceneffizienz“ sowie „Gesundheit und Medizin“ konzipiert.

Gesundes mobiles Arbeiten im technischen Service hat das interdisziplinäre Projekt ArdiAS* im Visier mit dem An-Institut METOP GmbH als Projektträger. Über digitale Assistenzsysteme - ohne Einschränkung der taktilen Fähigkeiten - werden für Servicemitarbeiter in Windkraftanlagen Gestaltungslösungen zur physischen und psychischen Entlastung entwickelt.

Mensch-Roboter-Kooperation: Mit Sicherheit erfolgreich

Das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg ist eines der weltweit führenden Forschungsinstitute für Assistenzrobotik, eine der wesentlichen Disziplinen der Industrie 4.0. Ein essenzielles Thema für die Einsetzbarkeit und Akzeptanz von Assistenzrobotern ist Sicherheit. „Wir entwickeln beispielsweise neue sensorische Verfahren zur Erkennung des Menschen im Umfeld des Roboters“, so Prof. Dr. techn. Norbert Elkmann, Leiter des Geschäftsfeldes Robotersysteme. „So stellen wir sicher, dass in der Mensch-Roboter-Kooperation keine Gefährdung für den Menschen entsteht.“

Ende letzten Jahres wurde hier eine umfassende und weltweit einmalige Probandenstudie* abgeschlossen, die die Belastungsgrenzen bei Berührungen zwischen Mensch und Roboter erstmalig untersucht hat. Aus tausenden Versuchen zu Schmerz -  und Verletzungseintritt mit speziellen Versuchseinrichtungen wurde eine Wertetabelle ermittelt, die für die zukünftige Normung sehr wertvoll ist. Zudem bilden die Daten die Basis für zuverlässige Simulationen von komplexen Produktionsabläufen mit Kontaktsituationen.

Zu mehr Sicherheit bei der Nutzung von Robotern verhelfen u.a. die Projekte FourByThree* und SAPARO*. Eine optische Arbeitsraumüberwachung von Mensch‐Roboter‐Kooperationsarbeitsplätzen wurde im Projekt FourByThree weiterentwickelt und umgesetzt. Aktuell erfolgt die Produktentwicklung gemeinsam mit einem namhaften Industriepartner. Druckempfindliche, taktile Bodenbeläge kommen n im Projekt SAPARO  zum Einsatz, um Sicherheit auch in der Kooperation mit frei im Raum beweglichen, autonomen Robotern zu gewährleisten.

Ein Großprojekt mit Beteiligung aus Sachsen-Anhalt wird in Kürze eingeweiht: Der Abwasserkanal Emscher* im Ruhrgebiet, mit über 400 Kilometern  Länge das aktuell größte Wasserbauvorhaben in Europa, wird in Teilen bereits 2018 in Betrieb genommen. Für die automatisierte Kanalinspektion des Hauptsammlers über 76 km entwickelte das Geschäftsfeld Robotersysteme des Fraunhofer IFF eine neue Generation autonomer Inspektions- und Reinigungsroboter. Inspektion und Reinigung des Kanals sind dann im laufenden Betrieb möglich.

Servicerobotik, Assistenzrobotik und unersetzbare menschliche Fähigkeiten

Die Einsatzmöglichkeiten von Robotern sind nahezu unermesslich. Während der Einsatz in gefährlichen, schmutzigen oder monotonen Arbeitsbereichen bereits etabliert ist, könnten intelligente Assistenzroboter mittelfristig auch dort eingesetzt werden, wo Fachkräfte fehlen. Beispielsweise in der Pflege. „Die Einzigartigkeit des Menschen hinsichtlich seiner Flexibilität, der kognitiven und sensomotorischen Fähigkeiten verbunden mit Erfahrungswissen lassen sich nicht einfach so auf Technik übertragen“, so Prof. Elkmann. „Doch die Robotik entwickelt sich weiter, bringt Erleichterung, Sicherheit und (Lebens-) Qualität in viele Bereiche.“

Für integrative Ansätze zwischen Mensch und Technik setzt sich das IAF der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg ein. „Angesichts der Herausforderungen der Digitalisierung ist die Arbeitswissenschaft unabdingbar für den Erfolg der vierten industriellen Revolution“, so Dr. Schmicker.

*Projektpartner und Förderer:

futureTEX:  gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
ego.INKUBATOR:  gefördert durch das Land Sachsen-Anhalt und EFRE
ArdiAS: gefördert vom BMBF und ESF
Probandenstudie:  beauftragt u.a. von der Kuka AG, der Daimler AG, der Berufsgenossenschaft Holz und Metall BGHM und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung DGUV; begleitet von Medizinern der Uniklinik Magdeburg
FourbyThree/SAPARO: gefördert von der europäischen Union
Abwasserkanal Emscher: Bei dem Bau der Systeme waren unter anderem die Firma Rusche Zubringetechnik, Magdeburg, und die H&B OMEGA Europa GmbH, Sülzetal, eingebunden.

Autor: Miriam Fuchs


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