Schlüsseltechnologie Wasserstoff: Im Verbund zur Energiewende

Der Energiepark im sachsen-anhaltischen Zerbst plant die Produktion von grünem Strom mithilfe von Erneuerbaren Energien und Elektrolyse.

Ein Leuchtturmprojekt der Energiewende steht im sachsen-anhaltischen Zerbst. Hier hat das Energiedienstleistungsunternehmen GETEC mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft einen grünen Energiepark zur Erzeugung von Strom aus Sonne, Wind und Biomasse errichtet. Jetzt werden eine Elektrolyseanlage und zugehörige Logistik zur Produktion und Verteilung von 100 Prozent grünem Wasserstoff für die regionale Nutzung gebaut.

Die Ausbeute an Sonnenenergie ist an diesem Tag nicht so optimal; dafür aber drehen sich die Windräder unter kräftigem Antrieb. Chris Döhring schlägt den Jackenkragen hoch und zeigt mit einer ausholenden Armbewegung auf das, was Anfang der 2000er Jahre seine Vision war und heute ein Leuchtturmprojekt der Energiewende ist: der Energiepark Zerbst. Grün überwachsene Flugzeughallen sind erhalten geblieben aus der Zeit ab 1936, als das Areal Flugplatz der Deutschen Luftwaffe war. Nach 1945 wurde es von der Roten Armee genutzt und nach der Wende vom Bund übernommen. Die 1993 gegründete GETEC Gruppe kaufte 2003 einen Großteil des Flugplatzes nahe der anhaltischen Stadt. Zu den Geschäftsfeldern des mittlerweile europaweit agierenden Energiedienstleistungsunternehmens aus Magdeburg gehört unter anderem die Entwicklung „grüner“ Nutzungskonzepte für schadstoffbelastete Areale wie dieses.

Chris Döhring (52), Diplomingenieur mit den Kompetenzgebieten Energie- und Umwelttechnik, war 2004 bei der GETEC eingestiegen und sah damals schon Windräder am Stadtrand von Zerbst stehen. Doch starker Gegenwind kam auf mit Protesten, deren Slogans von „Verbauung der Landschaft“ bis „Verbauung der Zukunft“ reichten.

Die GETEC gehört zu den Pionieren, die drangeblieben sind an ihren Visionen und jetzt, wo alle Zeichen auf Energiewende stehen, Vorreiter sind auf dem Feld der erneuerbaren Energien. „Wir entwickeln für Kommunen, Unternehmen, Landwirte und Investoren Projekte zur regenerativen Energieversorgung, die den lokalen Bedingungen vor Ort angepasst sind“, sagt Chris Döhring, mittlerweile Geschäftsführer der GETEC green energy GmbH.  

Übergreifendes Zukunftsprojekt integriert Natur- und Umweltschutz

Der „Mitteldeutsche Energieverbund Zukunft“ ist ein von der GETEC green energy initiiertes übergreifendes Projekt, das eine nachhaltige Energieerzeugung aus Sonne, Wind, Biomasse, Erdwärme, Wasserkraft und Wasserstoff durch den Einsatz neuester Schlüsseltechnologien verfolgt. Die Energieparks „Zerbst“, „Börde“, „Profen“ und „Amsdorf“ versammeln sich unter diesem Dach.

Was den Energiepark in Zerbst betrifft, sind dort Sonne, Wind und Biomasse in nennenswerter Größenordnung vorhanden: Photovoltaikanlagen soweit das Auge reicht - 194256 Solarmodule auf 108 Hektar. Dahinter ragen 14 Windräder bis zu 200 Meter hoch in den Himmel. Mittendrin befindet sich eine Biogasanlage mit Biomethaneinspeisung. Landwirte aus der Region bringen Hühnermist, Mais und Grünschnitt hierher.

„Grün“ als Symbolfarbe für Natur- und Umweltschutz hat im Energiepark Zerbst exakt diese Bedeutung. Vor der Anlage weidet eine Herde Galloways. Streuobstwiesen sind hier angelegt, und Imker stellen ihre Bienenwagen unter die Akazien. Auf einem Teil des Areals wird der „Park“ im Sinne einer öffentlichen Begegnungsstätte für Freizeit und Sport genutzt. In einer historischen Flugzeughalle werden Gottesdienste gefeiert.

Schwankungsfrei durch mobile Speicher

Bald schon soll hier mittendrin eine Anlage zur Erzeugung von 100 Prozent grünem Wasserstoff für die regionale Nutzung gebaut werden. Die GETEC green energy ist Planer und Kooperationspartner. Chris Döhring führt gern interessierte Besucher an den „noch“ von Wildwuchs eroberten Platz – damit das „Nachher“ eines Tages besonders beeindruckt. Voraussichtlich Ende 2022 soll die Elektrolyse in Produktion gehen. Betreiber der Anlage wird die Bio-Masse-Hof Zerbst GmbH sein, weitere Partner des Projektes sind die Stadt Zerbst, der BioPharmaPark Dessau-Rosslau, die Erdgas Mittelsachsen GmbH EMS, sowie die Deutsche Hydrierwerke GmbH DHW in Rodleben. Das Hydrierwerk, sagt Chris Döhring, werde erster Abnehmer des grünen Wasserstoffs aus Sachsen-Anhalt sein. Der Produzent u.a. von Fettalkoholen, Fettaminen oder Sorbitolen setzt zur Herstellung seiner Produkte energieintensive Verfahren ein und nutzt derzeit den so genannten grauen Wasserstoff aus fossilen Energieträgern.

Die Elektrolyseanlage im Energieparkt Zerbst wird künftig zu 100 Prozent von Strom aus Windkraft betrieben. In diesem Zusammenhang werden sieben neue Windräder auf benachbarten Flächen gebaut, die bisher wegen ihrer Schadstoffbelastung nur als Rieselfelder zur Reinigung von Abwasser genutzt wurden.

Neben der Elektrolyse-Anlage muss auch eine Gas-Logistik errichtet werden. Dazu gehören Kompressoren, die den Wasserstoff auf die entsprechenden Druckstufen komprimieren, und ein mobiler Wasserstoffspeicher, der zur Glättung von Schwankungen bei der regenerativen Windstromerzeugung dient. Dieses Kleinverteilsystem wird vom Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF Magdeburg entwickelt. Das IFF begleitet die Erweiterung des Energieparks Zerbst als wissenschaftlicher Partner.

Modellregion attraktiv für zahlreiche Unternehmen

Der Energiepark Zerbst, so Chris Döhring, werde bundesweit eine Vorreiterrolle einnehmen, was die Versorgungsvielfalt an erneuerbaren Energien betrifft. Denn im Park sind eine Betankungsanlage für transportable Wasserstoff-Behälter zur Versorgung regionaler Abnehmer geplant wie auch eine öffentliche Tankstelle für Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeuge.

Darüber hinaus wird der Energiepark an das vorhandene Wasserstoffnetz angebunden, das in 20 Kilometern Entfernung als Mitteldeutsche Wasserstofftrasse mit Anschlüssen an große Chemie- und Industrieparks in Bitterfeld-Wolfen, Leuna, Schkopau, Böhlen-Lippendorf und Zeitz verläuft.

Das vielfältige Angebot an erneuerbaren Energien werde Unternehmensgründungen und Neuansiedlungen forcieren, ist Döhrings Prognose. Synergieeffekte seien bereits jetzt spürbar. „Es gibt zahlreiche Unternehmen, die sich wegen des Kohleausstiegs nach neuen Geschäftsfeldern umsehen und dabei eine CO2-freie Wasserstoff-Modellregion attraktiv finden.“

Jetzt bläst der Wind doch noch ein großes Sonnenloch frei. „Es hat eine Weile gebraucht ...“, sagt Chris Döhring und meint damit auch die Umsetzung seiner Visionen durch die Änderung der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen Seinen unternehmerischen Blick richtet Döhring nun in die Braunkohleregion um Profen. Wo der Bergbau zu Ende geht, soll nach seinem Willen bald die Produktion von grünem Wasserstoff beginnen.

Autorin: Kathrain Graubaum/IMG Sachsen-Anhalt


Sachsen-Anhalt ist Vorreiter, wenn es um den Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft geht. Zahlreiche innovative Ideen sind hier schon zu Leuchttürmen gewachsen. Beispielsweise, wie grüner Wasserstoff im industriellen Maßstab wirtschaftlich erzeugt und genutzt, oder wie Wasserstoff sicher gespeichert werden könnte.

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