Kunststoffe mit neuen Eigenschaften

Wie Wissenschaftler vom Fraunhofer IMWS Halle  von der Natur lernen

 

Schon Leonardo da Vinci hatte die Idee, von der Natur zu lernen und übertrug die Technik des Vogelflugs auf Flugapparate. Das ist über 500 Jahre her. Heute gibt es für die Umsetzung von Anregungen aus  Natur in die  Technik den Begriff „Bionik“. Auch  Wissenschaftler vom HallenserFraunhofer IMWS nehmen sich Experten aus der Natur zum Vorbild wenn es darum geht, Kunststoffe mit neuen Oberflächen-Eigenschaften zu entwickeln.

 

„Der Lotuseffekt ist der Klassiker in der Bionik“, sagt Annika Thormann. „Von den Blättern der Lotuspflanze perlen Wassertropfen rückstandslos ab und nehmen Schmutzpartikel von der Oberfläche mit.“ Warum das so ist? „Die Ursache liegt auf der Oberflächenstruktur des Blattes. Das ist von Wachskristallen im Größenbereich von wenigen Mikrometern überzogen, um die Oberfläche zu verringern“, erklärt die Wissenschaftlerin und hat auch gleich ein gegensätzliches Beispiel aus der Natur parat, das „Gecko-Phänomen“. Geckos können kopfüber an glatten Flächen haften. Feinste Härchen und Lamellen an den Füßen vergrößern deren Oberfläche und ermöglichen eine Wechselwirkung im molekularen Bereich.

Das brachte die Hallenser Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS Halle auf die Idee, solche Mikro- und Nanostrukturierungen auf Oberflächen von Kunststoffen zu übertragen. Je nach Struktur können ihnen sowohl wasserabweisende als auch haftende Eigenschaften gegeben werden. Solche mikro- und nanostrukturierten Oberflächen werden durch ein Prägeverfahren hergestellt, das am Fraunhofer IMWS entwickelt wurde und inzwischen patentiert ist.

Annika Thormann zeigt mattsilberne Prägestempel aus Aluminium. Mit bloßem Auge ist deren feine Oberflächenstrukturierung kaum zu erkennen. „Die wenige Mikrometer großen Gräben werden durch Laserabtrag erzeugt. In einem zweiten Arbeitsschritt entstehen durch anodische Oxidation 20 bis 300 Nanometer großen Poren“, erklärt Annika Thormann. „Die Mikro- und Nanostrukturen auf den Stempeln werden dann in dem von uns entwickelten Heißprägeverfahren auf thermoplastische Kunststoff-Folien oder -platten übertragen. Die Oberflächeneigenschaften können so dem Einsatz des Kunststoffes entsprechend gezielt angepasst werden.“

In den Gräben, Mulden und Hohlräumen auf der Stempeloberfläche steckt enormes wirtschaftliches Potenzial. Weltweit wird danach gestrebt, die Eigenschaften von Kunststoffen zu erweitern und letztlich die Endprodukte aus Kunststoff zu verbessern. Diplomingenieurin Thormann forscht auf dem Feld der Polymeranwendungen. Oberflächenbehandelte Kunststoff-Implantate in der Medizintechnik eingesetzt, sagt sie, könnten beispielsweise bewirken, dass sie sich mit dem menschlichen Gewebe besser verbinden. Ebenso erwünscht seien spezielle Eigenschaften für Verpackungsfolien oder für Folien, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden.

Zudem müsse es aus Sicht des Umweltschutzes neue Strategien einer nachhaltigen Verwendung oder Wiederverwertung von Kunststoffen geben, ergänzt Prof. Dr. Andreas Heilmann. Er leitet das Geschäftsfeld „Biologische und Makromolekulare Materialien“ am Fraunhofer IMWS. Scherzend meint er, die Kunststoff-Folie sei für ihn eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheit. Speziell den Verpackungsfolien mit neuen Oberflächeneigenschaften räumt er große Marktchancen ein. Auf solchen Folien könnten beispielsweise Etiketten ohne Klebstoff kleben und Druckfarben besser haften. „Eine direkte Veredelung ohne Zusatzstoffe verbessert außerdem die Recyclingfähigkeit“, betont Andreas Heilmann.

Derzeit koordiniert der Wissenschaftler ein Forschungsprojekt mit dem Namen KoMiNaKu – „Kombinierte Mikro- und Nanostrukturierung von Kunststoffen“. Die Partner stammen aus der regionalen Wirtschaft. Im mitteldeutschen Chemiedreieck Halle-Bitterfeld-Merseburg sind u.a. die Herstellung von Kunststoffprodukten und der Spezialmaschinenbau traditionell zu Hause. Die Unternehmen sehen in der neuen Oberflächenstrukturierungstechnologie ein großes Potenzial zur Verbesserung ihrer Erzeugnisse. Gemeinsam arbeiten die Bündnispartner daran, die Mikro-Nano-Prägetechnologie soweit zu optimieren, dass sie Einlass in der industriellen Praxis findet.

„Die FilmoTec GmbH aus Bitterfeld-Wolfen beispielsweise möchte mit der neuen Technologie die Haftung zwischen Unterlage und fotografischer Emulsionsschicht noch weiter verbessern, damit die Archivfilme lange – wenn nicht sogar ewig haltbar sind“, sagt Andreas Heilmann und nennt auch die Polifilm GmbH als möglichen Anwender. Die Firma aus Weißandt-Gölzau möchte die Haftung von Klebern und Farbe auf ihren Schutz- und Verpackungsfolien verbessern.

Selbstredend braucht es auch die Maschinen, die diese neue Technologie ausführen. Die MABA-Spezialmaschinen GmbH aus Bitterfeld-Wolfen und SmartMembranes GmbH aus Halle wollen entsprechende Komponenten entwickeln.

Wer nun die Größenordnung der Rollen von industriellen Verpackungsfolien vor Augen hat und mit dem Prägestempel aus dem Versuchslabor vergleicht, kommt schnell zu dem Schluss: Hier müssen andere Dimensionen ins Visier genommen werden. „Im Labormaßstab sind unsere Versuche erfolgreich“, sagt Andreas Heilmann. „Jetzt werden sie in ein Rolle-zu-Rolle-Verfahren im Großmaßstab übertragen, das für industrielle Anwender geeignet ist.“

Autorin: Kathrain Graubaum (Text/Foto)

www.imws.fraunhofer.de

Bildunterschrift:
Die Wissenschaftler Annika Thormann und Prof. Dr. Andreas Heilmann zeigen den Prägestempel mit kombinierten Mikro- und Nanostrukturen. Er wurde am Fraunhofer IMWS Halle entwickelt.

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