Von Fischen und Wellen

Biologie trifft Technik: Magdeburger nutzen Fin Ray Effect zur Oberflächenbearbeitung

Magdeburger Wissenschaftler träumen von der perfekten Oberfläche. Um die zu erschaffen, nutzt man am Institut für Maschinenbau die Natur als Lehrmeisterin, um neue technische Anwendungen zu entwickeln. „Wir haben das Bionik-Prinzip des sogenannten Fin Ray Effects auf die Bearbeitung von Werkstückoberflächen übertragen“, erläutert Carlo Bzdok. Er ist Projektmitarbeiter an der Hochschule Magdeburg-Stendal imFachbereich Ingenieurwissenschaften und Industriedesign.

Der Fin Ray Effect geht auf eine Beobachtung des Biologen Leif Kniese zurück. Beim Angeln machte er eine faszinierende Entdeckung: Wenn er mit dem Finger gegen die Schwanzflosse eines Fischs drückte, bog sich die Schwanzflosse nicht von ihm weg, sondern ihm entgegen. Sie schmiegte sich an den Druck erzeugenden Körper, den Finger, an. Der Forscher wiederholte den Test mit anderen Fängen, alle zeigten dasselbe verblüffende Phänomen. Im Labor der Berliner Firma EvoLogics untersuchte er die Anatomie der Fischflosse genauer und entschlüsselte die Funktionsweise. Schließlich meldete er das Prinzip der selbstadaptiven Struktur als Fin Ray Effect (Flossenstrahl-Effekt) zum Patent an.

Orientiert man sich an der inneren Struktur der Fischflosse und ahmt deren elastische Bauweise mit technischen Mitteln nach, kann man das Prinzip kreativ in andere Bereiche übertragen. So entwickelte zum Beispiel die Firma Festo, ein Unternehmen, das weltweit führend in der Automatisierungstechnik ist, einen Greifarm, dessen drei Finger sich dem zu greifenden Gegenstand anpassen. Der Greifarm schafft es, auch leicht zerbrechliche und unterschiedlich geformte Objekte sicher zu halten. Ein traditioneller Roboterarm wäre hier nicht sensibel genug.

An diesem Punkt setzen die Überlegungen des Magdeburgers Carlo Bzdok an. Er beschäftigt sich gemeinsam mit einem Team um Prof. Harald Goldau mit der Herstellung von Funktionsflächen an zylindrischen Bauteilen, wie sie zum Beispiel an Getriebe-, Kurbel- oder Nockenwellen zu finden sind. Zur maschinellen Bearbeitung dieser Werkstücke kommt im Industrielabor  anstatt eines herkömmlichen Polierverfahrens das Finishen als Endbearbeitungsverfahren zur Anwendung. „Dieses Bearbeitungsverfahren sorgt dafür, dass der Oberfläche je nach Anwendungsfall definierte Eigenschaften (Maß, Form, Rauheit und Struktur) zugeordnet werden“, erläutert der diplomierte Wirtschaftsingenieur Bzdok. „Die hohen Form- und Maßtoleranzen erreichen wir dadurch, dass das Werkstück im Flächenkontakt zum Werkzeug (Finishband) steht. Dabei lässt sich sagen, je größer die Andrückfläche, desto höhere Qualitäten lassen sich erzeugen.“

Bislang wird das Finishband über starre Andrückelemente, die eine Negativform des zu bearbeitenden Wellendurchmessers darstellen, angedrückt. Die Magdeburger haben nun ein flexibles Andrückelement entwickelt, bei dem zwei Finger die Negativform ersetzen. Eben jene Finger nutzen den Fin Ray Effect. „Der Vorteil ist, dass man mithilfe dieses neuen Andrückelements Wellen mit verschiedenen Durchmessern in einer Maschine mit ein und demselben Aufsatz bearbeiten kann.. Wenn sich die Erfindung, die er zusammen mit Prof. Harald Goldau und Rolf Hockauf patentieren lassen hat, bewährt, kann sie der Industrie von großem Nutzen sein. „Man muss die Maschinen dann nicht ständig umrüsten, spart Zeit und Geld und arbeitet effektiver“, so Bzdok.

Doch bis es soweit ist, wird wohl noch einige Zeit ins Land gehen. Die Wissenschaftler müssen weiter tüfteln. Ein Forschungsprojekt, das über das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wurde, ist kürzlich ausgelaufen und die Erfindung ist noch nicht auf dem Stand, dass sie für ein Maschinenbauunternehmen einsetzbar wäre. „Leider hat unser Prototyp eines flexiblen Andrückelements seinen ersten Industrieeinsatz im Unternehmen nicht überstanden. Wir müssen die Konstruktion neu auslegen und die Einbindung in die Versuchsmaschine überarbeiten. Vielleicht gelingt es uns, dafür ein weiteres Projekt anzuschieben“, hofft Carlo Bzdok, der außerdem auch an der Optimierung der Oberflächen von künstlichen Knie- und Hüfgelenken arbeitet. Er hofft, dass die Magdeburger Erfindung in absehbarer Zeit in der Industrie zur Anwendung kommt: „Das nicht jede Idee sofort ein Erfolg wird und man auch aus Rückschlägen lernen muss, ist nun mal das Wesen der Forschung. Anders handhabt es die Natur auch nicht, nur ist sie uns bereits einige Jahre voraus.“

Autorin: Dana Toschner

www.hs-magdeburg.de

Foto: Matthias Piekacz

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