Big Data hilft optimal zu planen

Report INVEST im Gespräch mit Professor Dr. Dirk Sackmann, Inhaber des Logistik - Lehrstuhls Logistik an der Hochschule Merseburg und seit 2015 Sprecher des KAT Kompetenznetzwerk für Angewandte und Transferorientierte Forschung über Pathfinder und Logistik-Visionen

Herr Prof. Sackmann, in der Forschungsdatenbank https://forschung-sachsen-anhalt.de des Landes findet man unter Ihrem Namen ein Projekt namens Pathfinder. Was verbirgt sich dahinter?

Wir haben dort eine Problemstellung aufgenommen, die heutzutage von größerer Bedeutung ist. Nämlich: Wie kann ich Transporte durchführen unter Berücksichtigung sämtlicher verfügbarer Verkehrsträger? Wir sprechen von multimodalen oder intermodalen Transportketten. Darunter verstehen wir Transportketten, bei denen sich die Verkehrsträger abwechseln. Ein Beispiel: Ware wird von einem LKW transportiert, dann umgeschlagen auf die Bahn oder eventuell aufs Schiff. Ausgangspunkt ist die Fragestellung, wie komme ich von einer Quelle im Logistiknetzwerk zum Zielort.

Unser Werkzeug ist aber auch geeignet, um Transportnetze im Hinblick auf die Umweltwirkung zu optimieren. Das geschieht dadurch, dass wir in unserem Tool externe Kosten berücksichtigen. Jeder Verkehrsträger – ob Schiene, Wasser, Straße oder Luft –, wirkt auf die Umwelt ein. Diese Einflüsse sind aber in den meisten Werkzeugen und in der Praxis noch nicht abgebildet. Wir berechnen, wie die Nutzung eines Verkehrsträgers die Umwelt beeinflusst.

Also wiegen sie alle Aspekte der Verkehrsträger gegeneinander auf?

Genau. Natürlich wird heutzutage immer von CO2-Bilanz gesprochen. Allerdings hat ja der Verkehrsträger Straße noch andere Wirkungen. Zum Beispiel die Zerschneidung von Flächen durch Autobahnen.  Das ist ein sogenannter externer Effekt, und so etwas ist in den meisten Ansätzen zur Transportplanung noch nicht ausreichend berücksichtigt. Wir haben in unserem Werkzeug externe Effekte durch externe Kosten hinterlegt und können so bemessen, welcher Transport über welche Strecke die Umwelt beeinflusst und welche externen Kosten sich der Inanspruchnahme zurechnen lassen.

Kann man pauschal sagen, welches Transportmittel das günstigste ist?

Im Hinblick auf die externen Kosten haben wir eine Rangfolge. Der LKW-Verkehr verursacht höhere externe Kosten als die Bahn und letztlich als der Wasserstraßenverkehr.

Aber die Module werden jedes Mal wieder neu zusammengesetzt, je nach Bedarf.

Genau. Es kann durchaus sinnvoll sein, dass im Nahbereich ein LKW-Transport mit geringen Mengen und Entfernungen sinnvoll ist. Das wird dann, wenn man dann  moderne Logistikketten aufbaut, konsolidiert, indem in sogenannten Hauptläufen größere Mengen über größere Entfernungen per Bahn oder Schiff transportiert werden.

Sie arbeiten mit vielen kleinen und mittleren Unternehmen zusammen. Wie läuft denn da die Einführung der Logistik in die Industrie 4.0?

Wir müssen erst einmal zwei Fragen beantworten. Was verstehen wir unter Industrie 4.0, und wo stehen die Unternehmen auf dem Weg in Richtung Industrie 4.0? Im internationalen Sprachraum versteht man unter Industrie 4.0 die Selbststeuerung von Objekten. Also: Objekte kommunizieren miteinander per Internet. Wenn ich das hehre Ziel verfolge, muss ich erst herausfinden, wo denn die Unternehmen stehen und wo wir sie abholen müssen. Das ist natürlich ein weiter Weg. Jedes Unternehmen hat seine Eigenheiten, und wenn wir mit Unternehmen zusammenarbeiten, dann schauen wir erst einmal auf den Ist-Stand und identifizieren mit dem Unternehmer die Probleme, bei deren Bewältigung wir ihm helfen. Bei Industrie 4.0 sehen wir die Hochschulen auch in der Verantwortung zu sensibilisieren und zu informieren. Erst danach wird dann geschaut, wie man die Unternehmen entwickeln kann. In einer klein- und mittelständisch geprägten Landschaft stehen wir da ganz am Anfang. Es geht eher um die Digitalisierung von Geschäftsprozessen, die eine Voraussetzung ist, um Aspekte wie Selbststeuerung von Objekten oder Kommunikation von Objekten übers Internet zu ermöglichen.

Ist das überhaupt ein Thema für die kleinen und mittelständischen Unternehmen in Sachsen-Anhalt?

Es gibt Aspekte, die dort eine Rolle spielen. Wenn wir an die Logistik denken, dann spielt häufig die Tourenplanung eine Rolle. Also, wie die Güter an die Kunden verteilt werden, in welchen Transporten, mit wie vielen Transportmitteln, wie sie ausgelastet sind. Das spielt in der Verteilung eine Rolle, aber auch in der Entsorgungswirtschaft. Wir implementieren da also Tourenplanungsverfahren; die Unternehmen sammeln aber auch immer mehr Daten. Nehmen wir die Entsorgung. Die Müllbehälter sind getagt, jeder hat eine ID. Es wird gewogen, wie viel Müll drinnen ist, und auf Basis dieser Datenvielfalt ergibt sich weiteres Optimierungspotential. Das alles ist ein Aspekt von Industrie 4.0, der unter dem Schlagwort Big Data diskutiert wird. Dass eben aus dem Prozess heraus immer mehr Daten entnommen werden, die für Optimierungsprozesse verwendet werden können.

Was wir noch machen, ist, dass wir im Prozess per Telematik Informationen bekommen über Staus, Straßensperrungen oder Unfälle. Damit können wir reagieren und kurzfristig auf andere Strecken ausweichen. Das bezeichnet man als dynamische Tourenplanung. Solche Projekte werden wir mit unseren Partnern demnächst angehen. Es sind immer kleine Schritte, es geht um die Ermittlung von Daten im Prozess und die Fragen: Wie können wir dynamisch auf Störgrößen reagieren, und wie können wir die im Prozess ermittelten Daten für Optimierungsprozesse nutzen?

Wenn wir jetzt mal einen Blick in die Zukunft werfen, 20 Jahre, 50 Jahre – was haben Sie für eine Vision für die Logistik?

Im Bereich der Transportlogistik ist es natürlich die Frage, ob es Automatic Trucks geben wird, also selbstfahrende Langstrecken-LKW ohne Fahrer. Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn das funktioniert, kann man enorm Kosten sparen. Man spricht von einem Sparpotential von bis zu 90 Prozent. Automatisiertes Fahren ist auch geeignet, um Unfälle zu reduzieren und Kraftstoff zu sparen. Das sind so Zukunftsvisionen im LKW-Bereich, die Automatic Trucks. Das ist ein Geschäftsmodell, das sicherlich vorangetrieben wird, und davon wird auch der Güterverkehr profitieren.

Über welchen Zeithorizont reden wir da?

Das kommt darauf an, inwieweit das politisch begleitet wird. Aber man spricht da schon von den nächsten 10, 20 Jahren. Das ist eine Einschätzung, die man oft in Studien findet.

Vielen Dank für das Gespräch.

Autorin: Annette Schneider-Solis

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