Das besondere Design von der Suppenkelle bis zur Körperprothese

100 Jahre Formgestaltung an der Burg Giebichenstein Halle

„Große Industrieunternehmen wie auch mittelständische Betriebe sind an Kooperationen mit uns interessiert“, sagt Dieter Hofmann, Rektor der vor 100 Jahren gegründeten Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle. Damals wie heute ist die industrielle Formgebung ein herausragender Studiengang. Die Projektinhalte reichen von der Trendforschung über die Ideenfindung bis zu Produktgestaltung und Systemdesign.

IMG: Herr Hofmann, seit Oktober 2014 sind sie Rektor der Burg, seit 2003 sind sie an dieser Kunsthochschule Professor für Industriedesign. Welche Design-Ideen liegen denn heute in der Luft, 100 Jahre nach der Schulgründung?

Dieter Hofmann: Wir leben in einer Zeit rasanter Veränderungen. Unternehmen bekommen manchmal gar nicht mit, wie schnell die Kundenbedürfnisse wechseln. Hinzu kommt die nachhaltige und demografische Entwicklung: Die Sichtweise auf das Alter wandelt sich. Aus all dem ergeben sich spannende Themen für das Industriedesign-Studium bei uns an der Burg, das momentan mit zirka 150 Studierenden belegt ist. Produktgestaltung und Systemdesign sind projektorientierte, praxisnahe Studienschwerpunkte.

IMG: Sie sagen, dass die Studierenden einen sehr engen Kontakt zu den Unternehmen haben, um sich gut vorzubereiten auf das reale Berufsleben, in dem sich die Designerin, der Designer auf dem Markt positionieren muss. Machen Sie den Berufskollegen Konkurrenz?

Dieter Hofmann: Auf keinen Fall. Unternehmen, die sich an uns wenden, bekommen eine Grundlagenforschung, die absolvierte Designer in dieser Form nicht leisten können.

IMG: Was ist darunter zu verstehen?

Dieter Hofmann: Unsere Studenten haben Zeit für eine längere Recherchephase, um das Grundproblem zu erkennen. Denn meistens weiß der Kunde gar nicht, was erbraucht, welche Probleme er lösen muss. In einem Projekt für die Automobilindustrie zum Beispiel haben Studierende erforscht, wie das Reiseverhalten der Menschen in 30 Jahren aussehen wird, welche Anforderungen sich daraus für den Autohersteller ergeben.

In einem anderen Projekt ging es um die Bedeutung menschlicher Schönheit. Wie wird sie in Zukunft definiert und bewertet? Die Projektgruppe hat dazu Schönheitschirurgen, Genforscher, Philosophen, Biologen ... befragt, natürlich auch Leute auf der Straße.

IMG: Sind die Ergebnisse der Recherchen in Produkte eingegangen?

Dieter Hofmann: Daimler zum Beispiel hat Ideen aus einem 3D-Interface-Projekt generiert und bei der Entwicklung seiner 3D-Navigation umgesetzt.

Die Theorien aus unserem Schönheitsprojekt „Mystery of Beauty“ haben wir in Japan überprüft. Exkursionen wie diese werden aus den Drittmitteln bezahlt, die wir von den Unternehmen für diese Art der Forschung einnehmen. Die Wahl fiel auf Japan, weil ich dort lange gelebt und gearbeitet habe und den Kontakt zu National Panasonic mitbrachte.

IMG: Welche Ergebnisse hat das Schönheitsprojekt?

Dieter Hofmann: Teile davon sind in die Entwicklung neuer Schönheitspflegegeräte eingegangen. Wichtig ist aber auch das ideelle Ergebnis unserer Forschung: Schönheit wird zunehmend über die innere Ausstrahlung definiert. Dies sind wesentliche Erkenntnisse für die Hersteller diverser Produkte auf diesem Markt. So konnte auch Braun in einem Projekt für Haarentfernungsgeräte davon profitieren.

IMG: Ihre Studierenden müssen also auch lernen, Trends zu erkennen.

Dieter Hofmann: Genau. Betriebe wundern sich oft, dass sie ihr Produkt nicht verkaufen. Meistens liegt es daran, dass es längst von der Zeit überholt wurde. Wir wollen Entwicklungen aufzeigen und passende Lösungen finden. Da haben wir ein aktuelles Beispiel: Im Trend liegt ein ungezwungener Umgang mit Körperprothesen, die von ihren Trägern offen gezeigt werden. Für die Medi GmbH & Co. KG aus Bayreuth entwickeln wir neue Lösungen für eine Beinprothetik – von der Technik bis zur Formgebung.

IMG: Wie kommen die Kontakte zu den Unternehmen zustande?

Dieter Hofmann: Unternehmen, die etwas Anderes erwarten als vom Designer auf dem Markt, kommen von sich aus auf uns zu. So war es bei der Firma Fissler. Gemeinsam haben wir Küchenhelfer entwickelt: Ergebnisse waren eine elastische Suppenkelle und ein Topf mit elastisch-biegsamen Rand für die Serie „Q!“.

Eine andere interessante Anfrage kam von der REUM Kunststoff- und Metalltechnik GmbH aus Hardheim. Die Firma stellt u.a. perforierte Bleche beispielsweise für Lautsprechergitter her. Durch Perforieren einen Mehrwert zu erreichen, war deren Anliegen. Unsere Idee: Perforierte Materialien könnten den Gips in der Medizintechnik ersetzen. Das Material passt sich bei Erwärmung dem Körper an und ist durch die Perforierung luftdurchlässig.

Unsere Auftraggeber lernen uns auch auf Messen kennen. Auf diese Weise kam ein Projekt mit dem Unternehmen „Gera – Leuchten und Lichtsysteme“ zustande. Die Fragestellung war, welche Innovationen in den neuen LED-Leuchtkörpern stecken. Da diese Leuchtmittel nicht mehr so heiß werden, ist auch Körperkontakt möglich. Dabei entstand therapeutischer Lichtschmuck gegen depressive Stimmungen – zu tragen in lichtarmen Zeiten und Gegenden.

IMG: Werden solche Ideen dann von den Unternehmen zur Marktreife geführt?

Dieter Hofmann: Der Zeitraum für eine Produktentwicklung umfasst vier bis fünf Jahre. Und die meisten Forschungsergebnisse gehen nicht eins zu eins in ein neues Produkt ein. Aber mit unseren Sichtweisen von außen können wir Türen öffnen. Unternehmen, die sich aufs experimentelle Arbeiten einlassen, gehen hindurch.

Autorin: Kathrain Graubaum (Text/Foto)
Bildunterschrift: Seit 2003 lehrt Prof. Dieter Hofmann Industriedesign an der Burg Giebichenstein in Halle. Seit Oktober 2014 ist er Rektor der Hochschule.

Kontakt:
Dieter Hofmann
Burg Giebichenstein, Kunsthochschule Halle
Tel.: 0345/7751-510
Email: hofmann@burg-halle.de

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