Architektur - Complizen aus Halle/ Saale überzeugen

Laut Lexikon handelt es sich bei einem Architekten um jemanden, „der Bauwerke entwirft und gestaltet, Baupläne ausarbeitet und deren Ausführung überwacht.“ Dass diese Tätigkeitsbeschreibung längst zu kurz greift, zeigt das Beispiel des „complizen Planungsbüros“ aus Halle/Saale. Denn zunehmend bestimmen auch andere Themen aus den Bereichen Stadtplanung, Kunst und Gesellschaft sowie interdisziplinäre Ansätze die Arbeit von Architekten.

Nach dem Studium der Innenarchitektur an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle sowie einem anschließenden Architekturstudium in Wien kehrte Andreas Haase Ende der 1990er in seine Heimatstadt Halle/Saale zurück. Ein lang ersehnter Wunsch sollte hier nach Auslandsaufenthalten und Arbeiten für ausgesuchte Architektenbüros endlich in Erfüllung gehen: die Eröffnung eines eigenen Büros. Andreas Haase bezog mit seinem Büro zunächst eine alte Fabriketage, die er zuweilen an Projektgruppen und Einzelakteure untervermietete. Bereits bestehende Kontakte lieferten erste Aufträge. „Als junges Büro hat man oft wenig Etat und noch keinen wirklichen Kundenstamm. Wir wollten zuerst einfach etwas Cooles machen“, erinnert sich Andreas Haase an die ersten Projekte. So bauten sie unter anderem die Kinobar Zazie in Halle/Saale um, „darauf bin ich heute noch besonders stolz“, betont der Architekt.

Einer der damaligen Untermieter war der angehende Betriebswirt Tore Dobberstein, der zu diesem Zeitpunkt an seiner Diplomarbeit schrieb. Andreas Haase erinnert sich: „Er mischte sich immer wieder produktiv in die Projekte der complizen ein.“ Mit einem vertieftem Einblick in Wirtschaftsethik, Management und Marketing brachte Tore Dobberstein dabei einen ganz anderen Blick auf die Projekte mit.  „Unter Architekten besteht oft noch zu wenig Anschlussfähigkeit zu anderen Themen und Herangehensweisen. Dabei kann dies das tägliche Kerngeschäft ungemein und im Sinne des Kunden bereichern“, erklärt Tore Dobberstein. Mit dieser Einschätzung überzeugte er auch die „complizen“ und stieg ins Team ein. Seit 2003 betreut er maßgeblich die Bereiche Kommunikation und Stadtentwicklung innerhalb des Architekturbüros. Dadurch hielten zunehmend auch andere Themenfelder Einzug in die Arbeit der „complizen“. Eines davon war die konstruktive Auseinandersetzung mit dem überall im Stadtbild präsenten Leerstand. Daraus entwickelte das junge Büro das Label „sportification“ zur alternativen Nutzung vom freien Räumen und Flächen durch den Sport.

Seit mittlerweile rund zehn Jahren untersuchen die „complizen“ kreative Möglichkeiten, urbane Architektur und Städtebau mit neuen Sportarten zu verbinden bzw. testen, inwiefern sie sich gegenseitig bedingen können. Brachen und leerstehende Häuser werden so zu Spielwiesen des urbanen Sports – Hochhaus-Frisbee-Rennen, SkateBAR, BMX-Strecken und Parcourslandschaften, um nur einige zu nennen. Bei der Umsetzung holen sich die „complizen“  fachkundigen Rat von Profisportlern. Eine zentrale Vorrausetzung für den Erfolg solcher Vorhaben ist für die jungen Kreativen das Gespräch zwischen Architekten und den zukünftigen Nutzern. „Urbane Architektur lebt vom Dialog mit den Menschen vor Ort“, so Andreas Haase. Deshalb setzen die „complizen“ bei ihrem Projekt „sportification“ auf gezielte „Interventionen“. Dahinter verbirgt sich eine Veranstaltungsreihe, mit der die Architekten an jeweils anderen Orten das Gespräch über Stadtplanung, Sport und Kunst suchen. So verwandelten sie 2011 eine Vierzimmerwohnung in Antwerpen in einen Ort für Sport und Spiele. In diesem Jahr beteiligen sie sich mit einer BMX-Strecke an dem Forschungsprogramm „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ in Berlin. Aus dem sportification-Konzept heraus entstand auch ein Ideenaustausch mit dem Initiativprojekt „Shrinking Cities“ der Kulturstiftung des Bundes, das international für Furore sorgte. Dessen zentrales Thema war der Bevölkerungsschwund in internationalen Großstädten und die Suche nach neuen Antworten auf das Phänomen des Leerstandes. „Das Projekt bot damals einen sehr guten Ansatz für die Profibildung des jungen Büros“ erinnert sich Andreas Haase. Durch das internationale Renommee des Projektes wurden die „complizen“ auch in den Verwaltungen vieler europäischer Städte bekannt.

Diese Kontakte führten schnell zu neuen Projekten. Die „complizen“ eröffneten eine Niederlassung in Berlin, wo unter Leitung von Tore Dobberstein vor allem Themen im Bereich der Stadtentwicklung bearbeitet werden. Der Kommunikationsexperte hat zudem eine Dozentur am Institut für Europäische Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar inne und folgte bereits früheren Einladungen zu Gastprofessuren an die TU Wien, wo er für zwei Semester Moderationskurse für Architekten und Stadtplaner hielt.
 
Um den öffentlichen Diskurs zur urbanen Raumgestaltung weiter zu verfolgen, betrieb Andreas Haase bis vor kurzem gemeinsam mit dem Architekten Christian Däschler zudem die Architekturgalerie „archcouture“– die einzige Architekturgalerie in den neuen Bundesländern. Diese beschäftigte sich mit den Möglichkeiten moderner Baukunst und setzt sie in den thematischen Zusammenhang von Gesellschaft, Kunst und Kultur. „Die Galerie hat uns wirklich großen Spaß gemacht, doch es bedeutet auch einen enormen Kraftaufwand sie mit der von uns gewollten Professionalität zu betreiben. Daher konzentrieren wir uns derzeit wieder verstärkt auf spannende Bauprojekte“, erzählt Andreas Haase. Die Aufgabengebiete sind breitgefächert. Aktuell arbeiten die „complizen“ unter anderem an der Entwicklung von Kirchturmspitzen, bauen historische Gebäude um oder planen gar den Neubau ganzer Stadtteile, wie es derzeit in Merseburg geschieht. Doch auch bei der täglichen Arbeit in ihrem Kerngeschäft gilt: Architektur ist ein kommunikativer Prozess. „Unsere Vorhaben finden nun mal im öffentlichen Raum statt und berühren das Leben vieler Menschen mit unterschiedlichsten Interessen und Bedürfnissen. Deshalb ist das gemeinsame Gespräch der Beginn jedes erfolgreichen Projektes“, ist der Kommunikationsprofi überzeugt.


Autor: Kai Bieler
Foto: Andreas Haase

Weitere Informationen:
www.complizen.de
www.shrinkingcities.com
www.sportification.com

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