Lauschen an der Nadel

Ein Medizintechnik-Startup aus Sachsen-Anhalt revolutioniert die „Schlüsselloch-Chirurgie“

Kleine Schnitte und eine schnelle Heilung: Die minimalinvasive Chirurgie hat viele Vorteile und gehört darum seit Jahrzehnten weltweit zum Klinikalltag. Die „SURAG Medical GmbH“ will die Operateurinnen und Operateure bald mit einer zusätzlichen Audio-Unterstützung ausstatten. Das Magdeburger Startup hat ein System entwickelt, das am Instrument „lauscht“ und Informationen in Echtzeit liefert. Damit könnte die „Schlüsselloch-Chirurgie“ präziser und sicherer werden.

Das gute alte Dosen-Telefon wird in der „SURAG Medical GmbH“ hervorgeholt, wenn Laien danach fragen, was die Magdeburger Medizintechniker meinen, wenn sie von ihrer Innovation sprechen. Moritz Spiller versetzt das Band in Schwingung und plötzlich ist an jedem Ende in den Blechdosen ein Geräusch zu hören. „Das ist im Prinzip das, was wir machen“, sagt er, „wir machen Interaktionen hörbar“. Was beim Chief Commercial Officer so einfach klingt, beschreibt in Verbindung mit der Innovation des jungen Unternehmens einen Meilenstein für die Chirurgie. Jahrelange Entwicklungsarbeit und die Erfahrung von Anwenderinnen und Anwendern sind in das neuartige Plug-and-Play-System eingeflossen, das auf die Instrument-Gewebe-Interaktion „hört“ und sie in wahrnehmbares Feedback umwandelt.

Das Verletzungsrisiko für Gefäße verringern

Moritz Spiller veranschaulicht wieder und sticht durch nachgebildetes Körpergewebe. An der Nadel ist ein kleines schwarzes Gerät befestigt. Stößt die Biopsienadel auf einen Widerstand, signalisiert es dies dem Chirurgen akustisch oder visuell. Dass es jetzt den Prototypen des Instruments gibt, ist der Beharrlichkeit, dem Know-how und dem Forschungsdrang der sechsköpfigen Spezialisten-Gruppe zu verdanken. Alles fußt auf einer Eingebung von Dr. Alfredo Illanes, dem heutigen Teamleiter der „SURAG“ und Senior Research Scientist der Forschungsgruppe INKA an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität (OVGU). Er hielt eines Abends in seinem Büro ein Stethoskop an eine Biopsie-Nadel, führte sie über eine Oberfläche, hörte genau hin. So wurde die Idee zu „SURAG“, der „Surgical Audio Guidance“, geboren, die dem Unternehmen seinen Namen gibt und eine Entwicklung angestoßen hat, die eine Lücke in der minimalinvasiven Chirurgie füllen kann. Ärztinnen und Ärzte können damit ihre Instrumente genauer platzieren und navigieren. „So“, sagt Moritz Spiller, „können Verletzungen von Organen oder Gefäßen und somit Kosten für das Gesundheitssystem vermieden werden“.

Unterstützung durch den „EXIST-Forschungstransfer“ des Bundes

Untermauert hat das Team seine Entwicklungsarbeit mit den Erfahrungen zahlreicher anerkannter Medizinerinnen und Mediziner aus mehreren chirurgischen Bereichen. Sie haben von Anfang an dazu beigetragen, dass die Entwicklung aus Magdeburg die Bedürfnisse und klinischen Anforderungen erfüllt. Zudem wurde das Konzept mit überregionalen und regionalen Preisen wie dem renommierten „Hugo-Junkers-Preis für Forschung und Innovation aus Sachsen-Anhalt“ ausgezeichnet. Das Gründungsprojekt wird seit 2020 für zwei Jahre mit dem „EXIST-Forschungstransfer“ durch den Bund und die Europäische Union unterstützt. Außerdem unterstützt das Land Sachsen-Anhalt das junge Unternehmen durch eine „egoStart Förderung“.

Markteintritt spätestens 2025

Derzeit konzentriere sich das Entwickler-Team aus Technik-, IT- und Medizin-Experten auf den Markteintritt, sagt Moritz Spiller. Die Richtung ist klar: „SURAG“ soll spätestens 2025 in deutschen, später auch in amerikanischen Operationssälen bei Bauchspiegelungen und weiteren minimalinvasiven Verfahren zum Einsatz kommen. Man arbeite bis dahin an Verbesserungen wie kleinere und leichtere Komponenten und hole das Feedback von Ärztinnen und Ärzten sowie Designerinnen und Designern ein, erklärt Moritz Spiller. Der Absolvent der OVGU, heute bei der „SURAG“ verantwortlich für Softwareentwicklung und Kommerzialisierung, schaut sich dabei in seiner Wirkungsstätte am Universitätsklinikum Magdeburg um und sagt: „Wir haben dafür hier ideale Voraussetzungen.“

Weitreichendes Netzwerk

Dort wird das frischgebackene Unternehmen unterstützt durch die „INKA“-Forschungsgruppe - das „Innovation Laboratory for Image Guided Therapy“. Zu den Schlüsselkompetenzen, des Lehrstuhls des Mentors und Startup-Mitglieds Prof. Michael Friebe zählt ein weitreichendes Netzwerk aus hochkarätigen Kliniken und Forschungseinrichtungen, von dem SURAG profitiert. Auch der Lehrstuhl für „Computer Aided Medical Procedures & Augmented Reality“ an der TU München ist eingebunden

Erfolg im „Fight Club“ der Startup Safari Sachsen-Anhalt

Eine wesentliche Herausforderung der kommenden Monate ist, Venture-Capital-Firmen zu finden, die an das Startup und seine Entwicklung glauben und sich finanziell beteiligen. „Das wird uns insbesondere ermöglichen, unsere internen Prozesse an die regulatorischen Anforderungen anzupassen und die Entwicklung unseres klinischen Demonstrators abzuschließen“, erklärt Moritz Spiller. Klinische Studien, Zertifizierungen und das „Sichtbarmachen“ stehen jetzt auf der Agenda. Etwa durch die Teilnahme des jungen Unternehmens an der Jahrestagung „Biomedizinische Technik“, wo „SURAG“ vom Publikum in Hannover zum „Lieblings-Startup“ gekürt wurde, und an der „Startup Safari Sachsen-Anhalt“: Beim jährlichen Event für die lokale Startup-Szene, organisiert vom „FOUND IT!“-Gründerzentrum der Hochschule Anhalt und der Venture-Capital-Gesellschaft „bmp Venture AG“, setzten sich die Magdeburger beim „Fight Club“ im Boxring in Bernburg (Saale) mit der Präsentation ihrer Geschäftsidee beim Pitch durch.

Vision: Plattformtechnologie mit vielfältigen Anwendungen

Mit ihrer Vision hält das sachsen-anhaltische Startup dabei nie hinterm Berg: „Als Plattformtechnologie kann SURAG an vielfältige Anwendungen angepasst werden“, weiß der Wahl-Magdeburger Spiller. Fünf davon hätte das Team bereits in der Pipeline - unendlich viele könnten es noch werden, bei weltweit 20 Millionen Nadeleingriffen jährlich, 13 Millionen laparoskopischen Verfahren, 21.000 Einsätzen von chirurgischen Robotern bis zum Jahr 2030 und vier Millionen arthroskopischen Knieoperationen.

Autorin: Manuela Bock/IMG Sachsen-Anhalt 

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