Einfach machen

Hier ist man offen für Neues: „Materiability Lab“ an der Hochschule Anhalt gegründet

Modern denken – damals und heute: Ein Beispiel, wie innovativ in Sachsen-Anhalt geforscht, entwickelt und der Nachwuchs gefördert wird, liefert die Hochschule Anhalt in Dessau. Direkt neben dem historischen Bauhausgebäude von Walter Gropius hat Anfang des Jahres das „Materiability Lab“ eröffnet. Wie in Zeiten des damaligen Aufbruchs wird hier Neues gewagt – und unter anderem mit smarten und biobasierten Materialien experimentiert. Was genau im Lab gemacht wird, erklärt Prof. Dr. Manuel Kretzer, Gründer der Materiability Research Group und Leiter des Labs.

Der Fachbereich Design hat ein neues Lab eröffnet. Was ist das für eine Werkstatt?

Prof. Dr. Manuel Kretzer: Es handelt sich nicht um eine klassische Werkstatt. Dieses Lab ist etwas ganz Neues. Das Experimentierlabor führt die an den Fachbereichen Architektur und Design etablierten Aktivitäten im Umgang mit Materialität weiter und hebt sie auf ein neues Level. Das Labor ist mit Werkzeugen und Maschinen für die fortschrittliche Materialherstellung und digitale Fertigung ausgestattet. Bei uns geht es um neue Materialien, neue Ansätze und vor allem um eine neue Art der Arbeit. Wir arbeiten hier experimentell und probieren viel aus. Es geht um das spielerische Erfahren von neuen Technologien und Materialien im Designkontext. Dabei muss man am Anfang noch nicht unbedingt wissen, was am Ende herauskommen soll. Man kann frei und durchaus mit einer gewissen Unbefangenheit an das Projekt herangehen. Das Lab spiegelt hierbei die Grundidee meiner bisherigen Arbeit und Forschung wider: Transdisziplinarität, Offenheit und Austausch. So taucht man auch in Bereiche ein, die einem als Disziplin fremd sind, um ein gewisses Verständnis und gemeinsames Vokabular zu entwickeln. Wenn man frühzeitig mit Fachleuten anderer Bereiche zusammenarbeitet, können wir viel konkretere, zukunftsweisende und nachhaltige Lösungen entwickeln.

Mit welchen smarten und biobasierten Materialien arbeiten Sie?

Wir beschäftigen uns im Bereich der smarten Materialien in der Grundlagenlehre unter anderem mit thermochromatischen Materialien, also solchen, die ihre Farbe ändern können, da sie sehr zugänglich und einfach anzuwenden sind. In der Forschung und den höheren Semestern befassen wir uns vermehrt mit Bio-Materialien, insbesondere im Kontext der Nachhaltigkeit. Dazu gehören unterschiedliche Arten von, Algen, Myzelium, oder auch Kombucha-Pilze, aus denen im getrockneten Zustand veganes Material mit lederähnlichen Eigenschaften entsteht. Das alles geschieht in Verbindung mit modernsten Technologien, wie 3D-Druckern oder hoch präzisen Lasercuttern. Im Moment haben wir einen Doktoranden, der sich mit dem Thema Bioplastik-3D-Druck befasst. Hierbei versuchen wir ein Material zu entwickeln, welches im Gegensatz zu den meisten gegenwärtigen Filamenten, biologisch abbaubar sein soll. Außerdem untersuchen wir, ob nicht sogar die Material-Eigenschaften dynamisch verändert werden können. Denkbar wäre, eine hybride Materalität zu erzeugen mit einem Verlauf von fest zu weich oder transparent zu opak.

Wie läuft das praktisch – wer kommt zu Ihnen, um zu forschen und zu entwickeln?

Wir decken ein großes Spektrum ab, vermitteln Grundlagen, experimentieren mit Materialien, die Studierenden lernen unterschiedliche digitale Entwurfs- und Fabrikationsprozesse kennen. Zusätzlich laufen Projekte im Bachelor- oder Masterstudium und Doktoranden oder Masterstudenten erstellen ihre Abschlussarbeiten. Und wir arbeiten mit Industriepartnern zusammen. So haben wir im vergangenen Semester für einen schwedischen 3D-Drucker-Hersteller, der Maschinen im großen Maßstab baut, generativ gestaltete Möbel entworfen und diese im Maßstab 1:1 drucken lassen.

Haben smarte Materialien eine große Zukunft?

Viele smarte Materialien sind bereits seit langem bekannt, haben ihr Potenzial jedoch bei weitem nicht ausgeschöpft. Die größten Herausforderungen bestehen darin, noch mehr Einsatzgebiete zu finden, das Bewusstsein für dynamische und adaptive Anwendungen zu schärfen und einen tieferen Dialog einzelner Forschungsdisziplinen herzustellen, damit wir Anforderungen besser erkennen und gemeinsam Lösungen finden können. Ich denke, dass es künftig nicht nur einzelne, isolierte smarte Materialien geben wird, sondern wir viele Hybrid-Lösungen haben werden, bei denen sich verschiedene Technologien verbinden und die dadurch für größere Transformationen sorgen werden.

In Sachsen-Anhalt ist im Automotive-Bereich, gerade hinsichtlich des Baus und der Materialien, derzeit viel in Bewegung. Gibt es dazu bei Ihnen auch aktuelle Arbeiten?

Wir haben schon einige Male mit AUDI kollaboriert und uns mit Nachhaltigkeit und einer neuen bio-inspirierten Formensprache auseinandergesetzt. Dabei ging es zum Beispiel um Zukunftsfragen, wie Fahrzeuge gestaltet werden, die autonom fahren können. Ein Aspekt war die Innenausstattung – wenn das Auto allein fährt, kann sich der Passagier mit anderen Dingen beschäftigen. Bei den Projekten konnten wir unsere Erfahrungen im digitalen Entwerfen einsetzen, bei denen wir uns mit generativen oder parametrischen Prozessen auch Inspirationen aus der Natur holen. So können wir Formen generieren, die den Rückbezug zur Natur herstellen.

Wie hoch schätzen Sie den Stellenwert smarter Materialien im Automotive-Bereich ein?

Ich halte den Einsatz smarter Materialien in vielen Bereichen, auch in der Fahrzeugindustrie, für unumgänglich. In unserer letzten Kollaboration mit AUDI, dem „Adaptive City Car“, haben wir einen 1:1 Prototypen robotisch produziert und uns unter anderem mit Aspekten des autonomen Fahrens, Car-Sharing und der künftigen Identifikation mit dem Fahrzeug auseinandergesetzt. Wenn wir in Zukunft, besonders im urbanen Raum, Fahrzeuge nicht mehr selbst besitzen, sondern sie leihen oder zu uns rufen, wenn wir sie brauchen, können smarte Materialien und Systeme dabei helfen, uns mit dem anonymen Vehikel zu identifizieren, indem es sich automatisch an unsere individuellen Anforderungen und Präferenzen anpasst. Dies kann zum Beispiel ganz einfach dadurch erfolgen, dass das Auto in die jeweilige Lieblingsfarbe wechselt oder einen mit der Lieblingsmusik begrüßt. Besonders wichtig ist bei Forschungen und Entwicklungen im Automotive-Bereich natürlich auch der Nachhaltigkeitsaspekt. In unserem Projekt versuchten wir das durch die Integration von Moos in die Fahrzeughülle, welche nicht nur die Luft, die ins Fahrzeuginnere strömt, filtert, reinigt und mit Sauerstoff anreichert, sondern auch eine gewisse Lebendigkeit und Natürlichkeit zurück in die Stadt bringt.

Wie geht es jetzt weiter mit und in dem Lab?

Es ist noch alles in der Entwicklung, derzeit sind wir dabei, das Projekt zu erweitern, unsere Forschungsgruppe wächst und wir akquirieren Drittmittel. Unterstützung kam schon von der Investitionsbank Sachsen-Anhalt mit Mitteln aus dem ego.-INKUBATOR. Ideen, die hier entstehen, sollen weiterverfolgt werden, Spin-offs könnten entstehen und Produkte bis zur Marktreife entwickelt werden.

Ihre Devise auf der Webseite „Bei Materiability geht es darum, zu machen“ – sie gilt also weiter?

Informationen zu teilen, gehörte schon immer zu den Grundlagen meiner Arbeit und Forschung. Bei uns wird nichts mystifiziert, hier werden der Do-it-yourself-Gedanke gelebt und Anleitungen zum Selbstlernen und Selbstverstehen gegeben. Wir pflegen die Open-Source Philosophie, und präsentieren unsere Erkenntnisse offen und für alle zugänglich auf der Internetpräsenz. Dadurch möchten wir die kreativen mit den wissenschaftlichen Disziplinen verbinden, das Gestalten und das Forschen – und ja, wir wollen noch ganz viel machen.

Autorin: Manuela Bock/IMG Sachsen-Anhalt


Hier finden Unternehmen und Forschung Lösungen für die Materialanforderungen an die Werkstoffe der Zukunft. Sie sind meistens eher unscheinbar und doch aus unserem alltäglichen Leben und für den technischen Fortschritt nicht wegzudenken: Smart Materials.

> > Weitere Informationen zu Smart Materials in Sachsen-Anhalt

vorheriger Beitrag nächster Beitrag